Ostertag steht auf der König-Karls-Brücke, Bad Cannstatt im Rücken, und deutet nach links. „Beim Leuze war die Mündung des Nesenbachs in den Neckar.“ Doch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die König-Karls-Brücke gebaut, der Bach war dem Verkehr im Weg, seine Mündung wurde neckarabwärts verlegt. Aber auch dort, aus einer etwa 20 Meter langen Kanalöffnung unterhalb der B 10, fließt für gewöhnlich kein Tröpfchen Wasser. „Nur wenn das Regenüberlaufbecken darunter voll ist, wird das Wasser nach mechanischer Reinigung abgegeben“, erklärt Ostertag. Durchschnittlich zehnmal im Jahr geschehe das.

 

Die Chronisten berichten im Jahr 1927 von zwei Cannstattern, die während der Faschingszeit in den Hauptsammelkanal des Bachs hinabgestiegen waren und sich dabei verirrten. Erst am Neckartor sahen sie wieder Licht und riefen um Hilfe. Zu ihrem Glück hörte sie ein Flaschnergeselle, der die Kanalarbeiter verständigte. Unbeschadet hatte bereits 1886 ein junger Franzose sein Abenteuer in den Gewölben des Nesenbachs überstanden. Auf dem Heimweg von einer Kabarettvorstellung geriet er in der Marktstraße an den Zugang des Nesenbachs. Der junge Geschäftsmann irrte bis zum Morgengrauen im Nesenbachgewölbe umher, erst dann wurden seine Hilferufe gehört. Der Zugang wird seither spöttisch „das Franzosenloch“ genannt.

Stückweise integrieren

Mitte der 90er Jahre haben Planer der Stadtverwaltung ein Konzept erarbeitet, um den Bach stückweise wieder in die Stadt zu integrieren, erzählt Ostertag. Aus dem Ersatzbach in Kaltental sollte Wasser in die Innenstadt geleitet werden, um dort, so wie in Freiburg, kleine Bächle zu fluten. Ein Bächle wurde angelegt, im Gerberviertel, im oberen Teil der Nesenbachstraße.

Allein: das Wasser aus Kaltental ist nie angekommen. Immer noch versickert es an der Böblinger Straße im Kanal. Denn der Gemeinderat schreckte vor den hohen Kosten des Projektes zurück. Ostertag schüttelt den Kopf. Stuttgart wisse nun mal nichts mit seinem Wasser anzufangen. Mit dem Neckar nicht und mit dem Nesenbach erst recht nicht. „Stuttgart ist eben eine Stadt ohne Konzept“, meint Ostertag.

Hilde Hoschek winkt Bassler durchs Gartentor herein und geht voran zu einem Plätzchen mit einer Schaukel und zwei Bänken. „Schauen Sie auf den Boden“, fordert sie den Besuch auf. In sanften Wellen windet sich ein Fußweg vom Platz zur Frauenstraße. „Unter dem Weg verläuft der Kanal“, sagt Hoschek. Sie weiß das so genau, weil die Stadt ihr und ein paar anderen bürgerschaftlich Engagierten vor Jahren einen Kirschbaum geschenkt hat, um das Plätzchen zu verschönern. „Wir haben ein Loch für den Baum gegraben – und worauf sind wir gestoßen? Auf den Betondeckel des Kanals.“ – „Dann wissen Sie, warum der Baum so gut wächst“, sagt Bassler: „Wegen der Scheiße, die da unten fließt.“

Versuche, den Nesenbach vom Dreck zu befreien, gab es manche in der Stadtgeschichte. 1492 bestimmte Graf Eberhard, dass die Stuttgarter ihren Unrat nur nachts in den Bach leeren durften. Eine Verbesserung der Wasserqualität bewirkte das aber nicht – schon allein, weil Schlachter Tierblut in dem Bach entsorgten. 1618 wurde das Bachbett ausgegraben und der Unrat entfernt. 20 Mann waren 18 Tage mit dem Abtransport des Schlamms beschäftigt. Es sollte nicht die einzige erfolglose Reinigungsaktion bleiben. Der Historiker Ulrich Gohl meint, dass der Nesenbach bereits im 16. Jahrhundert biologisch tot war.

„Nesabach, vrdreckt, vrsteckt.“

Weiter geht’s. Siegfried Bassler quert den Erwin-Schoettle-Platz und geht die Böblinger Straße entlang. An einem Spielplatz macht er halt. Hier gibt es die nächste Spur des unsichtbaren Gewässers. In das Pflaster des Sträßchens, das von hier zum Marienplatz führt, ist seit 2001 ein wellenförmiges Muster eingelassen. Aber: kein Schild erklärt, warum sich die Steine in Richtung Marienplatz schlängeln. „Nesabach“, hat Siegfried Bassler mal gedichtet, „vrdreckt, vrsteckt.“

Zu Spottgedichten hat der Nesenbach die Stuttgarter auch in früheren Zeiten inspiriert. Dem Nesenbach-Heinrich, wie der Wirt des Wilden Mannes um 1826 genannt wurde, werden folgende Zeilen zugeschrieben: „Plötzlich fällt er, und Arome breiten sich aus seinem dicken, schwarzen Schlamm. Keine Fruchtbarkeit er zwar verbreitet, aber Nasen er mit Düften weidet.“

Roland Ostertag, 81 Jahre alt, als Architekt unter anderem für die Umgestaltung des Bosch-Areals verantwortlich, wundert der rein pragmatische Umgang mit dem Nesenbach wenig. „Stuttgart ist die Stadt der Ingenieure. Es fehlt das Emotionale“, sagt er. Gerade schreibt er an einem Buch mit dem Titel: „Wasser in der Stadt – für ein schöneres Stuttgart“. Darin macht Ostertag Vorschläge, wie man den Bürgern das Wasser zurückgeben könnte. Ein Drittel des Wassers aus dem Nesenbachkanal ist sauberes Regenwasser, das sich nutzen ließe: Am Marienplatz, im Schlossgarten, überall könnte es wieder plätschern. „Die Lage am Nesenbach, an der Öffnung des Tals, das ist doch ein Schatz für eine Stadt“, sagt Ostertag.

Woher hat der Nesenbach seinen Namen? Der Volkskundler Helmut Dölker hat sich 1933 mit den Stuttgarter Flurnamen beschäftigt und kam zu dem Schluss, dass Nes ein Personenname ist. Dafür würde sprechen, dass damals Familiennamen wie Nessenthoma oder Nesenhäslin in Stuttgart verzeichnet sind. Nes könnte allerdings auch die Abkürzung von Agnes sein. Es wird jedenfalls vermutet, dass jener Agnes oder der Familie Nes mehrere Besitzungen an dem Bach gehörten. Erstmals als Nesenbach geführt wurde das etwa 13 Kilometer lange Gewässer 1504. Davor war er lange einfach nur „der Bach“. Je nach Gebiet, durch welches er floss, streckenweise auch der Vaihinger Bach oder Kaltentaler Bach. In Heslach galt er als Laisebach, in Richtung Stadtmitte als Furtbach. Mehr oder weniger offensichtlich finden sich viele seiner Bezeichnungen in den heutigen Straßennamen Stuttgarts wieder.

Stopp auf der König-Karls-Brücke

Ostertag steht auf der König-Karls-Brücke, Bad Cannstatt im Rücken, und deutet nach links. „Beim Leuze war die Mündung des Nesenbachs in den Neckar.“ Doch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die König-Karls-Brücke gebaut, der Bach war dem Verkehr im Weg, seine Mündung wurde neckarabwärts verlegt. Aber auch dort, aus einer etwa 20 Meter langen Kanalöffnung unterhalb der B 10, fließt für gewöhnlich kein Tröpfchen Wasser. „Nur wenn das Regenüberlaufbecken darunter voll ist, wird das Wasser nach mechanischer Reinigung abgegeben“, erklärt Ostertag. Durchschnittlich zehnmal im Jahr geschehe das.

Die Chronisten berichten im Jahr 1927 von zwei Cannstattern, die während der Faschingszeit in den Hauptsammelkanal des Bachs hinabgestiegen waren und sich dabei verirrten. Erst am Neckartor sahen sie wieder Licht und riefen um Hilfe. Zu ihrem Glück hörte sie ein Flaschnergeselle, der die Kanalarbeiter verständigte. Unbeschadet hatte bereits 1886 ein junger Franzose sein Abenteuer in den Gewölben des Nesenbachs überstanden. Auf dem Heimweg von einer Kabarettvorstellung geriet er in der Marktstraße an den Zugang des Nesenbachs. Der junge Geschäftsmann irrte bis zum Morgengrauen im Nesenbachgewölbe umher, erst dann wurden seine Hilferufe gehört. Der Zugang wird seither spöttisch „das Franzosenloch“ genannt.

Stückweise integrieren

Mitte der 90er Jahre haben Planer der Stadtverwaltung ein Konzept erarbeitet, um den Bach stückweise wieder in die Stadt zu integrieren, erzählt Ostertag. Aus dem Ersatzbach in Kaltental sollte Wasser in die Innenstadt geleitet werden, um dort, so wie in Freiburg, kleine Bächle zu fluten. Ein Bächle wurde angelegt, im Gerberviertel, im oberen Teil der Nesenbachstraße.

Allein: das Wasser aus Kaltental ist nie angekommen. Immer noch versickert es an der Böblinger Straße im Kanal. Denn der Gemeinderat schreckte vor den hohen Kosten des Projektes zurück. Ostertag schüttelt den Kopf. Stuttgart wisse nun mal nichts mit seinem Wasser anzufangen. Mit dem Neckar nicht und mit dem Nesenbach erst recht nicht. „Stuttgart ist eben eine Stadt ohne Konzept“, meint Ostertag.