Nestlé hat den Portionskaffee erfunden und durch eine clevere Vermarktungsstrategie salonfähig gemacht. Nun gerät der Weltmarktführer durch zwei Übernahmen in Bedrängnis. Dahinter steckt eine deutsche Unternehmerfamilie.

Stuttgart - Sie sind klein, rund und in ihrer Vielzahl ein großes Übel für jeden Umweltschützer: Kaffeekapseln aus Aluminium. Allein in Deutschland landen jährlich 5000 Tonnen davon im Müll. Doch der Trend zur Portionspackung ist ungebrochen, die Kapsel avanciert immer mehr zum Liebling der Kaffeetrinker. Daran kann nicht einmal der objektiv betrachtet viel zu hohe Preis für den Inhalt der kleinen, bunten Aludöschen etwas ändern. Während ein Kilogramm gemahlener Kaffee zwischen zehn und zwölf Euro kostet, zahlt man für die gleiche Menge in kleine Kapseln verschweißt je nach Hersteller zwischen 30 und 70 Euro.

 

Mehr als zwei Milliarden der sechs bis sieben Gramm leichten Portionen haben die Deutschen im vergangenen Jahr konsumiert. Der Weltmarkt für Kapselkaffee besaß 2013 ein Umsatzvolumen von mehr als acht Milliarden Euro und hatte sich damit innerhalb von fünf Jahren vervierfacht.

Der Löwenanteil stammt aus dem Nestlé-Konzern mit seinen Marken Nespresso und Nescafé Dolce Gusto. Die Schweizer haben die Kaffeekapsel nach eigenen Angaben 1970 erfunden und sechs Jahre später patentieren lassen. Die Markteinführung erfolgte 1986, doch der große kommerzielle Erfolg ließ noch länger auf sich warten. Nach der Jahrtausendwende gelang der Durchbruch; auch dank des Hollywood-Schauspielers George Clooney, der seit 2006 für Nespresso wirbt, machte Nestlé die Marke als Lifestyleprodukt salonfähig. Das Prinzip – relativ günstiger Anschaffungswert, aber hohe Folgekosten – ist in der Branche verbreitet. Es gilt genauso für Staubsauger, Rasierer oder elektrische Zahnbürsten. Erst durch die zusätzliche Vermittlung von Exklusivität wurde Nespresso zu einer Art „Apple für Kaffeetrinker“. Nur im Direktvertrieb in wenigen Shops oder im Internet erhältlich, war der Preis für die Konsumenten nebensächlich.

Nestlé setzt nicht mehr auf aggressive Abwehr

Doch die Schweizer sind zuletzt gehörig unter Druck geraten. Schätzungen zufolge gibt es mittlerweile rund 200 weitere Hersteller, die teils ihre eigenen Maschinen auf den Markt gebracht haben, teils auch einfach nur günstigere Kapseln für die Automaten der Konkurrenz produzieren. Die Unternehmen wollen auch von den enormen Gewinnmargen profitieren, die im Kapselgeschäft möglich sind. Nestlé ist in jüngster Zeit von seiner aggressiven Abwehrstrategie gegen unliebsame Nachahmer abgewichen, was vor allem damit zusammenhängt, dass einige Patente auf das Nespresso-System abgelaufen sind und andere durch Gerichte gekippt wurden.

Zwei Großfusionen auf den internationalen Kaffeemarkt setzen Nestlé nun weiter zu: Zum einen der Zusammenschluss der Kaffeesparte des US-Konsumgüterriesen Mondelez (Jacobs Kaffee, Tassimo) mit dem niederländischen Kaffeeröster DE Master Blenders (Senseo), der im Juli dieses Jahres über die Bühne gegangen ist. Das Gemeinschaftsunternehmen trägt den Namen Jacobs Douwe Egberts (JDE), hat seinen Sitz in den Niederlanden und erwirtschaftet mit 7500 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von mehr als fünf Milliarden Euro. Die Mehrheit am JDE hält die deutsche Milliardärsfamilie Reimann. In der Öffentlichkeit treten die Geschwister Renate Reimann-Haas (Jahrgang 1951) und Wolfgang Reimann (1952) sowie ihre Cousins Matthias Reimann-Andersen (1965) und Stefan Reimann-Andersen (1963) praktisch nie auf, es gibt kein einziges Foto von einem der Familienmitglieder.

Die Reimanns stehen auch hinter der Übernahme des US-Kapselherstellers Keurig Green Mountain, deren Ankündigung Mitte Dezember weltweite Aufmerksamkeit erregte. Umgerechnet knapp 13 Milliarden Euro will die Luxemburger JAB Holding für den Keurig-Konzern auf den Tisch legen, der laut Euromonitor mehr als 60 Prozent des amerikanischen Kapsel-Marktes abdeckt und im Geschäftsjahr 2015 (Ende September) umgerechnet 4,1 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete.

Die Reimanns setzen auf Parfüm, Kaffee und Mode

Die Buchstaben JAB stehen für den Unternehmer Johann Adam Benckiser, der 1851 zusammen mit dem Chemiker Karl Ludwig Reimann eine Chemiefabrik in Ludwigshafen gründete. Noch heute halten die Erben Reimanns 10,7 Prozent an Reckitt Benckiser (Calgon, Durex, Clearasil), einem mittlerweile britischen Hersteller von Reinigungsmitteln und Haushaltwaren, im Wert von 6,7 Milliarden Euro. Sie sind außerdem Mehrheitseigentümer des Parfümherstellers Coty (Davidoff, Joop, Wella) sowie der Schuhhersteller Jimmy Choo und Bally und Besitzer der beiden amerikanischen Kaffeehaus-Ketten Peet’s Coffee & Tea und Caribou Coffee Company. Ihr gesamtes Vermögen wird auf 18 Milliarden Euro geschätzt.

Alle Reimann-Kaffeefirmen zusammen kommen bei Kapseln auf einen Weltmarktanteil von 41 Prozent. Nestlé liegt derzeit bei 28 Prozent, der Nespresso-Jahresumsatz betrug laut Schätzungen zuletzt gut 4,5 Milliarden Euro. „Nestlé begegnet erstmals einem Konkurrenten auf Augenhöhe“, kommentierte die Lebensmittelzeitung den jüngsten Deal. Besonders im Nordamerika-Geschäft, wo Nespresso laut Euromonitor nur einen Marktanteil von vier Prozent hat, dürften es die Schweizer nun noch schwerer haben, weiter zuzulegen.

Neben den Branchenriesen tummeln sich eine Reihe anderer Hersteller auf dem internationalen Kapselmarkt, darunter der deutsche Marktführer in Sachen Kaffee, Tchibo (Cafissimo), und Dallmayr (Capsa) sowie Lavazza und Segafredo aus Italien. Auch Discounter wie Aldi oder Lidl oder Kaffeehausketten wie Starbucks haben bereits ihre eigenen Kaffeekapseln. Der Neuerwerb im Reimannschen Kaffeeimperium, Keurig, ist bereits einen Schritt weiter und bietet sein Kapsel-System seit kurzem auch für Kaltgetränke wie Cola oder Limonade an, geduldet vom wichtigen Anteilseigner Coca Cola. Es könnte der nächste profitträchtige Trend in einer äußerst dynamischen Branche werden.

Das Lieblingsgetränk der Deutschen

Kaffeemaschinen
Der Boom des Portionskaffees ist ungebrochen. Die Produzenten verdienen nicht nur am Kaffee selbst, sondern auch an den Geräten zur Zubereitung. In 32 Millionen deutschen Haushalten steht nach Angaben des Statistischen Bundesamts eine Pad- oder Kapselmaschine. Die Zahl der Haushalte mit Filterkaffeemaschine liegt bei 62 Millionen. In zwölf Prozent aller deutschen Haushalte steht ein Vollautomat. Drei von vier Kaffees trinken die Deutschen zu Hause. Außer Haus trinken sie ihn am liebsten in der Bäckerei.

Kaffeekonsum
Der Durst auf das meist koffeinhaltige Heißgetränk ist groß. Die Deutschen tranken im vergangenen Jahr im Schnitt 162 Liter Kaffee (Quelle: Deutscher Kaffeeverband). Damit ist Kaffee das beliebteste Getränk, noch vor Mineralwasser (143 Liter; Verband Deutscher Mineralbrunnen) und Bier (107 Liter; Deutscher Brauer-Bund). Mehr Kaffee als in Deutschland (pro Kopf) wird nur in den nordeuropäischen Staaten Finnland, Norwegen, Schweden und Dänemark sowie in Österreich und der Schweiz konsumiert.