Nestlé saugt Millionen Liter Wasser jährlich aus einer Quelle in den französischen Vogesen ab. Weil der Wasserspiegel immer weiter sinkt, sollen Bewohner nun von anderswo mit Wasser versorgt werden.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Vittel - Ein Sattelschlepper nach dem anderen verlässt das riesige Betriebsgelände von Nestlé im französischen Vittel. Rund eine Million Flaschen Wasser werden täglich in dem schön gelegenen Ort in den Vogesen, der Namensgeber für das Getränk ist, verladen. Die Bewohner des Dorfs leben nach dem Motto „Fonte revivisco“ – durch die Quelle zu neuem Leben.   Es sei denn, sie beginnt zu versiegen.

 

„Nicht doch!“, sagt Rentnerin Yvette und stellt ihre leere Plastiklasche unter einen der zwei Hähne, die im Ortszentrum Tag und Nacht sprudeln. Hierher kommen viele der 5000 Einwohner, um sich mit Tafelwasser einzudecken. Ein Hinweisschild beschränkt das Abfüllen auf sechs Flaschen. Yvette sieht das nicht so eng. Ihr Mann hatte jahrzehntelang für das örtliche Thermalbad gearbeitet. „Da werden sie uns doch unsere tägliche Ration gönnen, oder etwa nicht?“

Wasserspiegel sinkt in Vittel immer weiter

Der Wasserspiegel in der Muschelkalkschicht tief unter dem Dorf Vittel sinkt jährlich um 30 Zentimeter. „Wegen Übernutzung“, meint der Naturschützer Bernard Schmitt. Die Wassersparte des Nestlé-Konzerns, die die Marke Vittel 1992 übernahm, holt jährlich 750 Millionen Liter Wasser aus den Bohrlöchern. Eine Käsefabrik und die kommunale Wasserversorgung bedienen sich ebenfalls.

Die Natur kommt beim Ausgleich des großen Wasserverbrauchs aber nicht nach: Regenwasser braucht etwa sieben Jahre, um mehrere Hundert Meter tief zu sickern.   Was also tun, damit Vittel nicht austrocknet? Man könnte das Wasserschöpfen für alle einschränken. Nestlé hat eine andere Idee: Das Unternehmen will weiter aus dem Boden von Vittel Wasser schöpfen – die Einwohner sollen hingegen durch eine Rohrleitung mit Wasser aus einem Nachbardorf 15 Kilometer östlich versorgt werden.   Dieses Szenario hat das lokale Wasserkomitee anfang Juli abgesegnet. Seither schlagen die Wogen hoch. 200 Anwohner und Naturschützer gingen bei Demonstrationen auf die Straße.   Ein Bauer meint mit Blick auf sein Feld: „Wenn uns das Grundwasser ausgeht, wäre das der Beginn der Wüste hier.“  

Nestlé finanziert 27 Prozent des Gemeindebudgets

Seit dem Kauf der Quelle habe Nestlé den Ort „kolonisiert“, sagt Naturschützer Schmitt. In der lokalen Wasserkommission verfüge das Unternehmen offiziell nur über eine von 45 Stimmen – und trotzdem setze es sich mit seinen Anliegen immer durch, sagt Schmitt. Die Staatsanwaltschaft decke zunehmend Beziehungen einzelner Mitglieder der Wasserkommission zu Nestlé auf. Das Unternehmen äußert sich dazu nicht.

„Auf uns wird kein Druck ausgeübt“, sagt Vittels Bürgermeister Franck Perry. Seinen Besuchern serviert er gekühlte Fläschchen Vittel. Vom Fenster aus blickt der konservative Ortschef direkt auf das omnipräsente Nestlé-Logo am nahen Abfüllwerk. Warum hat er in der Wasserkommission für die Versorgung seiner Bewohner per Leitung gestimmt? „Das war die am wenigstens schlechte Lösung“, erklärt Perry. Er sagt, dass andernfalls Arbeitsplätze gefährdet gewesen wären. Die sollen sich ohnehin schon auf 900 halbiert haben.

Außerdem finanziere Nestlé immerhin die Rohrleitung, sagt Perry, das Wasser bleibe für die Bewohner also gratis.  Was er weniger gern bestätigt: Nestlé entrichtet via Mineralwassersteuer fünf Millionen Euro an das Dorf – und stellt 27 Prozent des Gemeindeetats. Und wer wird schon einem so großen Steuerzahler den Wasserhahn zudrehen?