Marie Kondo optimiert Sockenschubladen und Gewürzregale. Die japanische Bestsellerautorin und Erfinderin der Konmari-Methode bringt Menschen bei, ihre Wohnung zu entrümpeln. Doch wirkliche Antworten gibt sie nicht.

Freizeit und Unterhaltung: Theresa Schäfer (the)

Stuttgart - Menschen, die ihren Freunden verzückt ihre Sockenschublade zeigen. Garagen, in denen man vom Boden essen kann. 37 Fünfzig-Liter-Müllbeutel mit Dingen, die diese Menschen mal erwarben, jetzt aber anscheinend plötzlich nicht mehr brauchen. Das ist kurz zusammengefasst der Inhalt der Netflix-Serie „Aufräumen mit Marie Kondo“: Die japanische Bestsellerautorin und Erfinderin der Konmari-Methode bringt Menschen bei, ihre Wohnung zu entrümpeln.

 

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Das klingt zunächst einmal gut. Und wenn eine Streaming-Serie Menschen im wahren Leben dazu inspiriert, sich materiellen Ballasts zu entledigen, kann man da doch nichts dagegen haben, oder? Doch genauer betrachtet, hat die Sache auch einen Haken: Denn Marie Kondo sortiert, faltet und entrümpelt augenscheinlich zwar gern – doch wirkliche Antworten auf entscheidende (Lebens-)Fragen gibt sie nicht.

Fünf – mal mehr, mal weniger ernst gemeinte – Gründe, warum Marie Kondo die Finger aus meinem Gewürzregal (Dachboden, Schreibtischschubladen, Sockenfach, ...) lassen sollte:

1. Ein Gefrierbeutel entfacht keine Freude

Zumindest nicht bei mir – ich brauche ihn aber trotzdem. Genauso wenig gerate ich bei Büroklammern oder Skiunterwäsche in Ekstase. Würde ich Marie Kondos Rat folgen und nur Dinge behalten, bei denen ich einen „spark of joy“ fühle (dieses angestrebte Gefühlshoch unterstreicht die Aufräumexpertin gerne mit einem verzückten Kieksen und verträumter Miene), wäre meine Wohnung ganz schön leer – und ich müsste auf der Skipiste jämmerlich frieren.

2. Wegwerfen, als ob es kein Morgen gäbe

Das ist in Zeiten, in denen die Welt mit einem echten Müllproblem kämpft, nun wirklich nicht die Lösung. Up- oder Recycling heißt vielmehr das Zauberwort, aber damit scheint man bei Marie Kondo an der Falschen zu sein. Was keinen „spark“ auslöst, kommt weg – natürlich nicht, ohne dass man sich vorher artig bei der Klamotte bedankt hat. Japanische Höflichkeit muss sein.

Schwäbische Sparsamkeit offenbar nicht: Einer Mutter mit zwei Kindern und nicht abgeschlossener Familienplanung empfiehlt Marie Kondo allen Ernstes, Bodys, Buggy und Brummkreisel auszusortieren. Um dann in zwei Jahren alles neu zu kaufen, wenn Baby Nummer drei da ist? Seriously, Marie?

3. Danke, Klamotte – und jetzt weg mit dir

Auch auf die Frage, wo man mit den Sachen hin soll, von denen man sich getrennt hat, hat die Aufräumexpertin keine befriedigende Antwort. Marie Kondo türmt zwar gerne Kleider zu Bergen, die den Mount Everest hügelig erscheinen lassen, gibt aber keine Tipps, wo die ollen Klamotten vielleicht noch Gutes tun könnten. Als Kleiderspende zum Beispiel oder in einem Second-Hand-Laden. Wenn in der Serie Aussortiertes gespendet oder bei einem der typisch amerikanischen „Yard Sales“ an den Mann gebracht wird, scheint das zumindest nicht auf Maries Initiative zu geschehen.

In ihren Büchern warnt die Bestsellerautorin sogar davor, Aussortiertes an andere weiterzugeben: Man belaste sie nur damit. Willkommen in der Überflussgesellschaft.

4. Nicht alles lässt sich geradeziehen wie ein ungebügeltes T-Shirt

Ob Liebesbriefe, Kinderzeichnungen oder die Holzfällerhemden des verstorbenen Mannes: Bei Marie Kondo scheinen Dinge vor allem dazu da zu sein, sie zu sauberen Rechtecken zu falten und in Kisten verpackt in Kommoden verschwinden zu lassen. Sie freut sich über Unordnung – aber nur, so lange sie sie rasch verschwinden lassen kann. Dabei geht Marie Kondo teilweise erstaunlich gefühlskalt vor. Erinnerungen und Emotionen ja – aber bitte fein säuberlich verpackt und bloß nicht „messy“.

Dieser Drang zur Selbstoptimierung kann nicht nur ganz schön auf die Nerven gehen, er ist auch gefährlich. Nicht umsonst ist Japan das Land, in dem seit einigen Jahren ein beängstigender Trend um sich greift: Die „Hikikomori“ sind junge Menschen, die monate- oder jahrelang ihr Zimmer oder ihre Wohnung nicht mehr verlassen – aus Überforderung und Angst, nicht gut genug zu sein.

Vielleicht würde jungen Menschen – nicht nur in Japan, sondern überall auf der Welt – eine etwas andere Botschaft gut tun: Du bist ok so, wie du bist – egal, wie es in deiner Sockenschublade aussieht.

5. Maries Marotten gehen auf die Nerven

Liebe Marie Kondo, ich habe da noch ein paar Fragen... Erstens: Das mit den Socken zum Beispiel – die soll man falten, nicht zu kleinen Bündeln zusammenwursteln (ach, Sie wissen schon). Und warum? Weil die Bündchen ausleiern! Seriously, Marie?

Zweitens: Warum müssen Sie immer das Haus begrüßen? Was sagen Sie dem? Und glauben Sie wirklich, ihre „Coachees“ machen da mit? Die blinzeln doch nur durch halbgeschlossene Augenlider und fragen sich: „Wie lange muss ich noch so tun, als würde ich mit meinem Haus reden?“

Drittens: Was ist das für ein Tick mit den Boxen? Alles wollen Sie in Boxen verstauen. Es gibt sogar Boxen mit vielen kleinen Boxen drin. Haben Sie da etwa ein Aktienpaket, von dem wir nichts wissen? Ich freue mich auf Antworten – aber bitte dreifach gefaltet und hochkant gestellt.