StZ-Kolumnist Peter Glaser meint, die digitalen Medien geben dem Menschen schöpferische Kraft zu einer Rundumsicht, die vieles verbindet.  

Stuttgart - In der Debatte über den angeblich nicht multitaskingfähigen Menschen wird das Denken auf einen einzigen seiner zahlreichen Aspekte reduziert: den der Effizienz. Der Mensch vergleicht sich mit einer Maschine, die einige Rechenschritte zugleich abarbeiten kann. Doch dieses Bild wird dem Menschen nicht gerecht.

 

In "Paris - ein Fest fürs Leben" erinnert der Schriftsteller Ernest Hemingway sich an seine Zeit im Paris der zwanziger Jahre, wo er sich ein kleines Zimmer gemietet hatte, in dem er arbeitete: "In diesem Zimmer war es auch, wo ich lernte, von dem Augenblick an, in dem ich mit Schreiben aufhörte, an nichts, worüber ich schrieb, zu denken, bis ich am nächsten Tag wieder anfing. Ich hoffte, dass mein Unterbewusstsein daran arbeiten und ich gleichzeitig anderen Leuten zuhören und alles beobachten würde." Eine ganz andere Art des Denkens kommt hier zum Vorschein, die den schöpferischen Kräften jenseits der Förderbandfleißigkeit des Tagesbewusstseins vertraut und ihnen die Kontrolle über das zu Denkende übergibt.

"Der Nervenzusammenbruch ist das Mittel zur Erhellung der Denkprozesse."

Dieser Art von Arbeit kommen Computer und Kommunikationsmedien sehr entgegen. Nicht zuletzt fühlt das Internet sich für viele an wie ein Traum, eine Innenwelt, der auf geradezu rauschhafte Weise ständig Anregungen, Inspirationen und Vielstimmigkeit zufließen. Neues Denken ist erlernbar, keine Frage. "Die Menschen vermögen die Besonderheiten anzunehmen, die man ihnen ständig andichtet", vermerkte Washington Irving bereits 1820 ironisch in seinem "Sketch Book". 140 Jahre später formuliert Marshall McLuhan es drastischer: "Der Nervenzusammenbruch ist das Mittel zur Erhellung der Denkprozesse."

Lösungen des Informationsfortschritts sind in zunehmendem Maß ganzheitlich und organisch. Nicht umsonst entstammen die Begriffe "organisch" und "organisieren" derselben Wurzel. Quantitative Produktivität muss einem anderen Ziel Platz machen: Fülle statt Überfluss. Der erste große Informationsökologe war Charles Darwin. Er versuchte die Erde als ein in sich verwobenes, in jeder Hinsicht dynamisches Netzwerk in ihrer lebenden Ganzheit zu fassen. Was Darwins Gedanken so überzeugend machte, waren nicht seine revolutionären Theorien, sondern seine einzigartige Fähigkeit, Beobachtungen verschiedenster Art zusammenzufassen und für uns alle verständlich zu machen.

Die große Revolution, die wir brauchen, verlangt eine Wandlung der mechanistischen Ansicht der Welt - die oft einfach unter den Begriff des Digitalen geschlüpft ist - in eine organische, in deren Mittelpunkt der Mensch steht, "kühl und gefasst einer Million Welten gegenüber", wie es der Dichter Walt Whitman einmal ausdrückte.

Kontakt mit dem Autor? Bemerkenswertes aus der digitalen Welt.