Marloes de Valk erhielt den neuen Netzkunstpreis Hash Award. Im Format des Computerspiels möchte sie zum kritischen Umgang mit dem Internet anregen.

Stuttgart - Der Virus war Kunst. Eine soziale Skulptur im öffentlichen Raum des Internets. 2001 verbreiteten zwei Künstlergruppen ein Schadprogramm als Beitrag zur 49. Biennale von Venedig. Weil die Urheber den digitalen Schädling aber in der seinerzeit selten verwendeten Programmiersprache Python geschrieben haben, richtete er kaum Schaden an. Sollte er auch nicht. Es ging vor allem darum, einer neuen Kunstgattung zu mehr Aufmerksamkeit in der Ausstellungswelt zu verhelfen: der Netzkunst oder Netart.

 

Sie entstand aus der Internet-Subkultur der 90er Jahre, als die Modems noch laut schnarrten, Steve Jobs noch am Leben und Mark Zuckerberg noch nicht volljährig war. Doch obschon sich der Fortschritt im IT-Bereich seitdem exponentiell beschleunigt hat, schaffen es die Vertreter der Netzkunst bis heute nur selten ins grelle Rampenlicht. Um genau das zu ändern, hat die Stuttgarter Akademie Schloss Solitude gemeinsam mit dem Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) einen neuen Netzkunstpreis ins Leben gerufen: den mit 8.000 Euro dotierten „Hash Award“.

Die Förderung von Online-Kreativen besitzt Tradition auf dem Stipendiatenschloss. Bereits 1997 unterstützte die Solitude in Kooperation mit der documenta X einige Pioniere der Zunft. Wieso es eine eigene Ehrung hierfür erst jetzt gibt, erklärt der scheidende Akademiechef Jean-Baptiste Joly folgendermaßen: „Für einen Preis brauchen Sie Sponsoren, und bei denen ist das Genre erst vor einigen Jahren richtig angekommen.“

„Pretty nerdy Stuff“

Ironischerweise bezeichnet sich die erste Preisträgerin aber gar nicht gern als Netzkünstlerin. „Ich bin Softwarekünstlerin und Schriftstellerin“, sagt Marloes de Valk. „Viele meiner Projekte funktionieren auch offline. Und bisweilen sogar ganz klassisch als Buch.“ Auch sonst wirkt die gebürtige Niederländerin ganz anders, als erwartet. Schon ihre frische Gesichtsfarbe und ihr taghelles Lachen verraten, dass sie nicht zu jener Spezies gehört, die sich achtzehn Stunden am Tag zwischen Tastatur und Monitor eingräbt. Gleichwohl beherrscht de Valk die einschlägigen Computersprachen und kann selbst Programme schreiben. Was sie macht, schmunzelt die 41-Jährige in fließendem Englisch, sei manchmal schon „pretty nerdy stuff“. Allerdings wird der richtig schöne Nerd-Kram bei ihr nicht zum Selbstzweck. 1976 geboren, ist die Künstlerin zu alt, um zu den Digital Natives zu gehören. Vielleicht auch deswegen hat sie eine gewisse intellektuelle Distanz zur Welt des Internets bewahrt. Alles könne künstlerisches Medium sein, betont sie: Bild, Ton, Wort. Aber auf das jeweilige Medium komme es gar nicht so sehr an, sondern auf die Botschaft. Und die vermag de Valk, was ihr eigenes Schaffen betrifft, klar zu formulieren: „Ich will aufzeigen, wie sich neue Technologien auf unser Alltagsleben auswirken und zum kritischen Umgang mit dem Internet anregen.“

Im Fokus auf gesellschaftliche Konsequenzen liegt für sie ein entscheidender Unterschied zur mehr technologisch interessierten Gründergeneration der Netart. Frei und demokratisch sei das Web schon damals nicht gewesen, auch wenn dieser Mythos bis heute beschworen werde. „Ich kann das philantropische Gerede von Mark Zuckerberg nicht mehr hören. Angeblich will er den Leuten nur helfen Freunde zu finden, dabei war sein Kalkül von Anfang an der Datenhandel.“

Beim Daddeln an alten Konsolen

In dem gemeinsam mit Kollegen entwickelten Onlinegame „Naked on Pluto“ bezog de Valk sich direkt auf Facebook und offenbarte, wie viel jeder unbewusst im Internet über sich preisgibt. Auch ihr jüngstes Projekt, das die Solitude mit einem Online-Stipendium gefördert hat, ist als Computerspiel konzipiert. Bietet dieses Format doch die Möglichkeit, Inhalte kurzweilig-erzählerisch aufzubereiten. „What remains“ heißt die noch nicht vollendete Arbeit, die ohne den sonst üblichen Ballast von Kommunikationstheorie dem Phänomen der Fake News auf den Grund geht. „Diese Strategien“, erläutert de Valk, „gab es schon in der Ära von Ronald Reagan.“ Wenn heute Donald Trump den Klimawandel leugnet, nutzt er dieselben Tricks, die schon ein Memo des Energiekonzerns Exxon aus den 80ern empfiehlt: wissenschaftliche Erkenntnisse zur globalen Erwärmung sollen als unseriös dargestellt werden.

Passend zum Jahrzehnt hat die Künstlerin für „What remains“ ein Nintendo-Produkt von 1985 wiederentdeckt und in ein Lehrstück über Wissensmanipulation verwandelt. „Im Spiel geht es darum“ sagt de Valk, „per Joystick die Welt zu retten.“ Beim Daddeln an der alten Konsole lerne man, Mechanismen wie die der Fake News zu durchschauen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Öffentliche Fördergelder und Preise wie der Hash Award sind wichtig für de Valk, die ihren Lebensunterhalt daneben auch durch Workshops oder Vortragstätigkeiten bestreitet. Denn auf dem Kunstmarkt finden ihre Werke kaum Abnehmer. Aber zum Besitzfetisch eines Einzelnen zu werden widerstrebt ohnehin einem Grundprinzip ihrer Kunst: „Sie soll frei zugänglich sein.“ Und im Gegensatz zu Mark Zuckerberg meint Marloes de Valk das ernst.