Die Kritik am deutschen Gesetz nimmt zu. Von „Murks“ spricht die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Nächste Woche behandelt Brüssel das umstrittene Thema. Anders als Deutschland setzt die EU bisher auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Internetwirtschaft.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Die Kritik am Gesetz gegen Hassbotschaften im Internet reißt nicht ab. Von „Murks“ spricht die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Interview mit unserer Zeitung, und fordert die Bundesregierung auf, die Angelegenheit auf eine neue Stufe zu stellen. „Das Thema muss auf alle Fälle von Europa eingefordert werden“, sagt die FDP-Politikerin. Wenn wir europäische Standards brauchen, dann sei dies bei den internationalen Großkonzernen der Fall. „Da könnte die Kommission was Sinnvolles tun“, so Leutheusser-Schnarrenberger. EU-Justizkommissarin Vera Jourová kündigte an, nächste Woche mit ihren Kollegen über das Thema zu reden.

 

Seit Jahresbeginn ist vieles anders

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, macht den Online-Netzwerken seit dem 1. Januar Vorgaben, wie sie mit Anzeigen von Nutzern umzugehen haben. Diese müssen Beanstandungen schnell und einfach melden können, das Netzwerk muss die Beschwerde unverzüglich zur Kenntnis nehmen. Ist der gerügte Inhalt offensichtlich rechtswidrig, etwa eine Volksverhetzung, dann muss er innerhalb 24 Stunden entfernt oder gesperrt werden. Mit dieser Prüfung seien die Unternehmen überfordert, sagt Leutheusser-Schnarrenberger. „Das sei allein Sache der Justiz.“

Der Deutsche Richterbund, der auch die Staatsanwälte im Land vertritt, äußert sich derzeit nicht zu der hitzigen Diskussion. Man wolle zunächst die Entwicklung beobachten, heißt es. Als das Gesetz im vergangenen Jahr von der großen Koalition erarbeitet wurde, gehörte der Richterbund zu den wenigen Befürwortern. Das Gesetz sei unter anderem deswegen zu unterstützen, weil es den Ermittlern konkrete Ansprechpartner bei den Internetunternehmen an die Hand gebe, hieß es damals.

Experten zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit

Die meisten Experten sehen das anders. Sie beklagen, dass die Online-Portale bei den Prüfungen hoheitliche Aufgaben übernähmen. Zudem sprechen sie von einer möglichen Zensur, weil Facebook und Co. aus Angst vor Bußgeldern zu viel löschen könnte. Nach der Sperrung des Twitter-Accounts der Satirezeitschrift Titanic sehen viele ihre Befürchtungen bestätigt. Zahlreiche Experten äußern Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regeln. Bis Mittwoch waren beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe jedoch noch keine Anträge gegen das Gesetz eingegangen.

Europa setzt bisher auf eine freiwillige Selbstverpflichtung. „Wir wollen ein Europa ohne Hass, auch im Internet“, sagt EU-Justizkommissarin Vera Jourová. Mit den Internetunternehmen gebe es eine gute Zusammenarbeit, die solle nun ausgebaut werden. Nächsten Donnerstag wolle sie mit den Justizministern der Mitgliedsstaaten darüber reden. Der für die Sicherheit zuständige EU-Kommissar Julian King sagte mit Blick auf im Netz aktive Terroristen, man müsse die Zusammenarbeit mit Netzanbietern ausbauen. „Am Besten auf freiwilliger Basis, zur Not aber auch anders“.