Handball ist in Island sehr populär, Fußball natürlich auch. Deshalb konnte sich Viggo Kristjansson nicht recht entscheiden. Er spielte sogar in der Europa League – und schaltete Sturm Graz aus.

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Stuttgart - Viggo Kristjansson sitzt am Schlossplatz mitten in Stuttgart im Café Treppe. Ein Name mit Symbolcharakter. Denn der Handballer aus Island möchte den nächsten Schritt machen auf der Karriereleiter: beim TVB Stuttgart. Dass er hier landen würde ist seit längerem klar. Der Verein hatte sich schon Ende vergangenen Jahres um den Linkshänder bemüht und frühzeitig bis 2022 den Zuschlag bekommen: „Wir sind in den letzten Jahren viel umgezogen“, sagt der junge Familienvater, „da wollte wir etwas zur Ruhe kommen.“ Die hat er in seinem neuen Wohnort Weinstadt sogar noch mehr, ideal gelegen zwischen den Trainingsstätten Bittenfeld und Scharrena. Turbulent war das vergangene Jahr allemal: Erst Leipzig, wo er nach der Genesung von Gregor Remke doch wenig Aussicht auf Spielzeit hatte; dann Wetzlar, das ihn vielleicht sogar behalten hätte, „aber das war für mich kein Thema, weil ich in Stuttgart unterschrieben hatte“. Wo Jürgen Schweikardt nach dem Abgang des zum Nationalspieler gereiften David Schmidt Ersatz brauchte. „Er ist ein sehr vielseitiger Spieler“, sagt der Trainer zu den Vorzügen des 26-Jährigen mit einer hohen Spielintelligenz. Das heißt, er versteht es auch, seine Nebenleute einzusetzen. Da ist es zu verschmerzen, dass er nicht ganz so wurfgewaltig ist wie Schmidt: Schweikardt: „Aber das Gesamtpaket hat gestimmt.“

 

Lesen Sie auch: Der Mannschaftsgeist erwacht im Biwak

Auch im Duett mit dem zweiten Linkshänder Jerome Müller aus Ludwigshafen. Das Aufeinandertreffen im Trainingslager im Zillertal platzte, weil sich Kristjansson in seiner Heimat einen Abszess entfernen lassen musste. „Natürlich wäre es besser gewesen dabei zu sein, aber die Integration lief auch danach gut.“ Nicht zuletzt weil er bestens deutsch spricht, wobei er in Leipzig noch „als Isländer mit österreichischem Akzent“ angekündigt worden war. Doch vom Dialekt ist nicht mehr viel zu spüren, was für die Anpassungsfähigkeit des Spielers spricht. Die will er auch auf dem Feld an den Tag legen – zusammen Müller wird er die durch die Abgänge vom Schmidt, Robert Markotic und zuletzt noch Christian Zeitz vakante Position im rechten Rückraum mit neuem Leben erfüllen.

Dabei war der Handballer auch schon Fußballer. Und das nicht nur Hobbymäßig wie einige seiner Kollegen. Kein Scherz: Im Alter von 16 bis 20 hat er vier Jahre lang auf die Karte Kicken gesetzt, durchaus mit Erfolg. Kristjansson hat nicht nur in der Junioren-Nationalteams gespielt, sondern als Profi auch erste Liga mit Breidablik UBK und dort sogar Europa League, in der der Verein 2013 mit einem Sieg gegen Sturm Graz hatte aufhorchen lassen. Als er dann mit Wiens Handballern gegen Graz gespielt hat – gab es, na klar, wieder einen Sieg. „Ich habe noch nie gegen Graz verloren“, sagt er mit einem Lausbuben-Lächeln. Und ein wenig Stolz dazu: Denn die Kombination Profi-Handballer und -Fußballer kommt so selten vor wie ein Zeckenstich im Winter. Dennoch hat er irgendwann die große Lust aufs runde Leder verloren, vielleicht auch das Selbstvertrauen „weil ich gemerkt habe, dass es für die Premier League oder Bundesliga doch nicht reicht.“ Zumindest nicht im Fußball. Dafür im Handball, da ist die stärke Liga der Welt ebenfalls ein großes Ziel. „Da will in Island jeder hin.“ Und der Umweg über Österreich war genau richtig. „Dort habe ich alles erreicht.“ Er war Torschützenkönig und Spieler des Jahres.

Lesen Sie auch: Die etwas andere Vorbereitung

Nach Wien gelotst hat ihn übrigen Hannes Jon Jonsson, aktuell Trainer der SG BBM Bietigheim. „Er hat sich in den letzten drei Jahre enorm entwickelt. Für Viggo ist hier alles möglich“, sagt Jonsson nicht nur aus Freundschaft. Die kann jetzt wieder aufgewärmt werden. Zur Familie gehört inzwischen der einjährige Sohn sowie Ehefrau Sunna Vidisdöttir (Heirat im Vorjahr in Wien), eine ehemalige Profi-Golferin, die vier Jahre in den USA studiert hat und nun hier einen Job sucht sobald sich alles eingependelt hat. „In dieser Hinsicht mache ich mir bei ihm vom Typ her überhaupt keine Gedanken“, sagt Schweikardt. Am Ehrgeiz soll es nicht scheitern. Schließlich hat er nicht nur mit dem TVB große Ziele, sondern auch persönliche: „Ich will schauen, dass ich im Kader der Nationalmannschaft bleibe und nächstes Jahr bei der WM in Ägypten dabei bin.“ Kein Selbstläufer, Isländer sind so etwas wie ein Exportschlager geworden. Warum? „Handball hat eine große Tradition und inzwischen eine guten Ruf“, sagt der Neu-Stuttgarter. Als Spieler und Trainer, schließlich gibt es in Alfred Gislasson erneut einen Isländer als Bundestrainer. Der hat mal gesagt: „Wir haben acht Monate winter, das ist ein großer Vorteil für Hallensport.“

In Stuttgart ist es Sommer – und heiß. Zum Teil weit über 30 Grad. „Bei uns hat es im Schnitt vielleicht zwölf Grad“, sagt Kristjansson. Und 300 bis 500 Zuschauer in der Liga. Das zumindest könnte schon mal ein Vorgeschmack auf die Bundesliga sein – in Corona-Zeiten.