Teile unseres Wetterberichts stammen von einer maroden russischen Polarstation. Der polnische Dokumentarfilmer Stanislav Mucha Stanislav Mucha hat dort die Kinodoku „Wettermacher“ gedreht.

Es gibt Realitäten, die man sich nicht ausdenken kann. In einer davon leben auf der russischen Wetterstation Chodowaricha am Polarkreis der Chefmeteorologe Wladimir, der Tschetschenien-Veteran Alexander, die verwitwete und verschuldete Sascha. Ihr einziger Nachbar ist der krebskranke Wärter eines maroden Leuchtturms, der sich gerne Walrossschädel aufsetzt.

 

Mit analogen Geräten machen die Meteorologen Messungen, die in die Wettervorhersagen auch bei uns einfließen.„Die Daten sind wichtig, weil dort das Nordpolarmeer und die Barentssee aufeinandertreffen, aber wegen der Polarlichter funktioniert dort die meiste Technik nicht“, sagt der polnische Dokumentarfilmer Stanislaw Mucha vor der Dok-Premiere im Stuttgarter Kino Delphi. Er hat die Meteorologen über ein Jahr hinweg begleitet – „Wettermacher“ heißt sein Film.

An stillen Tagen hört man das eigene Herz klopfen

Einmal im Jahr kommt das Versorgungsschiff, ab und zu ein paar Nomaden mit Fleisch. „Das Quietschen des Windrads und das Heulen des Windes gehen aufs Gemüt“, sagt Mucha. „Nur an manchen Tagen ist es ganz still, und man fragt sich: Was klopft da? Bis man merkt, dass es das eigene Herz ist.“ Es hat Vorkommnisse gegeben in der Abgeschiedenheit. Als Alexander und Sascha ankamen, klebte Blut an den Wänden. Wladimir ist strafversetzt, weil auf seiner vorigen Station eine schwangere junge Frau umkam – im von außen verschlossenen Kühlraum. Bald kommt es zu realen Verwerfungen. „Man wird dort ein bisschen anders“, sagt Mucha. „Man hört besser, wird aufmerksamer, und mit den Augen passiert etwas: Man hat keinen Anhaltspunkt, schaut ins weiße Nichts und weiß nicht, wo man ist, ob das ein Mond ist oder ein Albtraum. Das macht etwas mit der Wahrnehmung, mit der Seele.“

Die einzige Rettung: Humor

Die Weite ins Bild zu setzen sei gar nicht so einfach gewesen. „ Den Kameramann haben wir angeseilt, sobald er sich vom Haus entfernt hat, denn oft sieht man nichts vor lauter Schnee und läuft dann in die falsche Richtung“, erzählt Mucha. Wie bleibt man an so einem Ort bei Sinnen? „Wir haben versucht, unsere Moral mit Humor aufrechtzuerhalten, und uns zum Beispiel vorgestellt, dass im Leuchtturm ein super Italiener wäre, zu dem wir später gehen.“

Erst auf den zweiten Blick sieht man bei einem Drohnenflug, was unter dem Weiß liegt. „Ein Generator liefert den Strom, und egal, wo man geht, überall liegen Fässer, keines davon leer und alle undicht“, so Mucha. „Das hat uns fertiggemacht. Ein Tropfen Öl oder Benzin versaut 1000 Liter Grundwasser, und dort läuft ständig Sprit aus. Im Sommer explodieren ganze Fässer.“

Der Filmemacher liefert in „Wettermacher“ Beobachtungen weit übers Wetter hinaus: Er blickt in die Seele eines Landes, das in der Ukraine die Welt in Brand gesetzt hat. „Ich habe da keine Seele gesehen“, sagt Mucha. „Nur eine Überdosis an Kriegsfilmen und patriotischer Musik, die zum Teil auch Putin gerne hört.“ Sein Film „Kolyma – Straße der Knochen“ spielt ebenfalls in Russland; er widmet sich dem Weg, auf dem Muchas Vater ins Arbeitslager deportiert wurde.

Imperiale Sehnsucht

„Es gibt in Russland eine wahnsinnige imperiale Sehnsucht, gerade auch unter jungen Leuten, obwohl die die Sowjetunion ja gar nicht mehr erlebt haben“, sagt der Regisseur. „Die können unglaublich viel aushalten, und wenn alle Stricke reißen, wacht etwas blind Patriotisches auf – das haben wir auch in der Wetterstation beobachtet.“

Wettermacher. D 2021. Regie: Stanislaw Mucha. 92 Minuten. Ab 12. Im Delphi