Die Depression des Regisseurs Lars von Trier wächst und wächst. Dieses Mal in "Melancholia" wird sie von Kirsten Dunst verkörpert.  

Stuttgart - Unendlich langsam und zur Musik von Wagners "Tristan" öffnet eine junge blonde Frau ihre Augen. Vögel fallen vom Himmel, Breughels Gemälde von der Rückkehr der Jäger fängt zu brennen an, ein Gestirn bewegt sich in Richtung Erde, ein Pferd kommt zu Fall, aus Fingern schlagen Funken, eine braunhaarige Frau trägt einen Jungen über einen Golfplatz vor einem Schloss am Meer. Die ersten Sequenzen in Lars von Triers "Melancholia", gefilmt in Superzeitlupe, wirken wie eine Ouvertüre, der Regisseur setzt den Ton für kommendes Unheil und schickt eine Sammlung von Motiven voraus, die er nun in eine Erzählung einbindet.

 

Die blonde Frau, der das erste Kapitel gewidmet ist, heißt Justine (Kirsten Dunst). Sie kommt mit ihrem Bräutigam (Alexander Skarsgard) zu spät zur eigenen Hochzeit, die Stretchlimousine ist auf dem Weg zum Schloss in einer engen Kurve stecken geblieben. Aber jetzt wird die Feier nach Plan durchgezogen. Justine will dazu gute Miene machen, aber bald äugt hinter ihrem Lächeln die Depression hervor. Bitte keine Szenen, so wird sie von ihrer besorgten Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) ermahnt, jener braunhaarigen Frau, die in der Exposition ihren Sohn trägt. Aber Justine büxt aus, hinein in die Nacht und auf den Golfplatz, rafft ihr Brautkleid und pinkelt aufs Grün. Später lässt sie sich ebendort von einem Mann vögeln, den sie vor diesem Tag noch nie gesehen hat.

Hochzeit als Zwangsveranstaltung

Mit beweglicher Handkamera, aber nicht hektisch inszeniert Lars von Trier diese Hochzeitsfeier als Zwangsveranstaltung und rechnet mit deren Ritualen ab. In prägnanten Szenen erfasst er Charaktere: den erpresserisch-brutalen Arbeitgeber von Justine, Chef einer Werbeagentur (Stellan Skarsgard), der von ihr noch während des Fests einen neuen Slogan erwartet; den trinkenden Vater (John Hurt) und Oberschichtensaukerl, der seine "Späße" mit den Bediensteten treibt, silberne Löffel einsteckt und dem Butler bedeutet, es fehlten welche; die verbitterte Mutter (Charlotte Rampling), die den Spruch "Ich hasse Ehen!" wie eine böse Märchenfee herausschleudert; den pikierten Hochzeitsplaner (Udo Kier), der jede Panne persönlich nimmt und die Hand vors Gesicht reißt, um sich vor dem Anblick Justines zu schützen.

In diesem ersten Kapitel erinnert "Melancholia" nicht nur an den wütenden Dogma-Realismus von Thomas Vinterbergs "Fest", sondern auch an die bösen Bürgerverspottungen eines Luis Bunuel. Der allerdings hat seine Metaphern, Symbole und Allegorien auch als atheistische Sprengsätze benutzt, Lars von Trier dagegen treibt seinen Film im zweiten und der harmoniesüchtigen Claire gewidmeten Kapitel sehr ernst ins Kosmisch-Religiöse.