Der Regisseur Christopher Nolan erzählt in „Oppenheimer“ aus dem Leben jenes Physiker, der als Erfinder der Atombombe gilt. Allein der Countdown zum ersten Atombombentest 1945 gehört zum Spannendsten, was in diesem Jahr auf der Leinwand zu sehen ist.
Spätestens mit seinem zweiten Film „Memento“ etablierte sich Christopher Nolan schon vor 23 Jahren als Regisseur, der sich darauf versteht, Geschichten fürs Kino komplex, spannend und vor allem selbstbewusst zu erzählen. Einige Jahre später revolutionierte er dann mit „Batman Begins“ und vor allem der Fortsetzung „The Dark Knight“ das Superhelden-Genre, seither gilt er nicht wenigen Fans als der Leinwand-Großmeister seiner Generation. Mittlerweile wird jeder seiner Filme schon im Vorfeld als Ereignis gefeiert, und selbst wenn – wie nun im Fall seines neuen Werks „Oppenheimer“ – der Plot auf den ersten Blick klingt wie eine dröge Geschichtsstunde.
Das mit der Geschichtsstunde erweist sich in „Oppenheimer“ nun ebenso schnell als Trugschluss wie die Erwartung fehlgeleitet ist, hier ein klassisches Biopic vorgesetzt zu bekommen. Trotzdem ist der Titel natürlich Programm: Nolan erzählt aus dem Leben von J. Robert Oppenheimer, jenem Physiker, der in den 1940er Jahren das sogenannte Manhattan-Projekt leitete und dank seiner Arbeit dort als Erfinder der Atombombe bezeichnet wird.
Mit einem vorausdeutenden Verweis an Prometheus, der den Menschen das Feuer gab und dies später bitter bereute, beginnt Nolan seinen Film, bevor er sich seinem Protagonisten widmet. Oppenheimer (Cillian Murphy), als Sohn deutsch-jüdischer Einwanderer in New York geboren, verschlägt es während des Studiums in den 1920er Jahre erst nach Cambridge, dann Göttingen, wo sein Weg unter anderem den von Nobelpreisträger Niels Bohr (Kenneth Branagh) oder Werner Heisenberger (Matthias Schweighöfer) kreuzt. Ähnlich wie sie will er sich nicht von den angestammten Grenzen physikalischer Forschung beschränken lassen. Ihn begeistert die noch junge, vielen paradox erscheinende Quantenmechanik, der er sich auch nach seiner Rückkehr in die USA verschreibt.
Zurück in der Heimat macht Oppenheimer sich in Berkeley nicht nur Freunde damit, dass er viel Interesse an der kommunistischen Idee aufbringt, lernt im Umfeld der Partei aber auch erst seine Geliebte (Florence Pugh) und seine spätere Ehefrau Kitty (Emily Blunt) kennen. Während des Zweiten Weltkriegs schließlich, als Präsident Roosevelt sich für die USA eine nukleare Bombe wünscht und dabei schneller sein will als die Nazis, macht ihn Lieutenant General Groves (Matt Damon) zum wissenschaftlichen Leiter des dafür zuständigen Manhattan-Projekts. Gemeinsam bauen sie in der Wüste von New Mexico das Los Alamos National Laboratory auf, mit eigens errichteter Stadt für all jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die schließlich dafür sorgen, dass am 16. Juli 1945 dort im Trinity-Test die erste Atombombe der Welt gezündet wird.
Den Weg dorthin zeichnet Nolan, dem fürs Drehbuch die Oppenheimer-Biografie von Kai Bird und Martin J. Sherwin als Grundlage diente, natürlich keineswegs chronologisch nach; er sei außerstande, eine Geschichte linear zu erzählen, gab nicht ohne Grund gerade erst Damon über seinen Regisseur zu Protokoll. Hin und her springt also die Handlung auf dem Zeitstrahl des Films, Jahreszahlen werden dabei nicht eingeblendet. Das kann anfangs ein wenig verwirrend sein (auch wenn zumindest die entscheidende Passage rund um eine Senatsanhörung des von Robert Downey jr. gespielten Politikers Lewis Strauss dezidiert in Schwarz-Weiß gehalten ist), zumal Nolan die Oppenheimer umgebenden Figuren nicht auf eine Handvoll beschränken mag.
Doch je länger der mit 180 Minuten sehr lange Film dauert, desto mehr zieht er das Publikum in seinen Bann. Ohne dass man viel von Physik verstehen müsste, macht Nolan, tatkräftig unterstützt von seiner Editorin Jennifer Lame und dem Komponisten Ludwig Göransson, spürbar, dass Oppenheimers Gehirn anders zu funktionieren scheint als andere. Seine Hingabe an die Wissenschaft, die alles andere in den Hintergrund treten lässt, wird von Minute zu Minute nachvollziehbar; der Countdown zum Atombombentest gehört trotz des hinlänglich bekannten Ausgangs zum Spannendsten, was in diesem Jahr auf der Leinwand zu sehen war. Und kommt obendrein ganz ohne digitale Effekte aus.
Endgültig zu Meisterwerk wird „Oppenheimer“ dann im letzten Drittel, wenn die Bombenabwürfe über Japan dem Forscher die lange ausgeblendeten Folgen seines Handelns vor Augen führen. Ein Umdenken setzt ein, das wiederum scharfen Gegenwind aus Washington nach sich zieht – das vielleicht erstaunlichste Kapitel dieser Lebensgeschichte, das den Film mit seinen vielschichten Fragen nach Verantwortung und der Meisterleistung von Murphy in der Titelrolle zum bislang besten in Nolans nicht gerade schwachem Oeuvre macht.
Oppenheimer. USA/UK 2023. Regie: Christopher Nolan. Mit Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon. 180 Minuten. Ab 12 Jahren.
Info
Visionär
Christopher Nolan wurde 1970 in London geboren. Seit 1998 hat er zwölf Kinofilme inszeniert, die Elemente des Blockbuster-Kinos mit philosophisch-wissenschaftlichen Fragen verbinden.
Leinwand
Nolan arbeitet explizit fürs Kino. Als sein bisheriger Verleih Warner Brothers bekannt gab, zukünftig auch Kinofilme vorrangig auf Streamingportalen zu veröffentlichen, wechselte er für „Oppenheimer“ demonstrativ zu Universal.