In dieser auf einer wahren Geschichte basierenden Kulinarikkomödie wird die DDR zum Biedermeierstaat erklärt. Die Film gewordene Anekdote will aber keine Systemanklage betreiben.

Stuttgart - Eine Suhl - Winternacht wie im Märchen! Sanft schweben Schneeflocken auf die Fachwerkhäuser einer Kleinstadt nieder, warm strömt Licht aus den Fenstern des Restaurants Waffenschmied in die Gassen. Auch in der Gaststube breitet sich gutbürgerliche Behaglichkeit aus, in rustikalem Ambiente sind rustikale Menschen beim Sichwohlfühlen zu beobachten, und wenn sie auf die Frage „Hat’s geschmeckt?“ mit „Wir sind satt!“ antworten, dann ist das wohl als Lob gemeint. Für den ambitionierten Restaurantbetreiber und Koch Rolf Anschütz (Uwe Steimle) aber ist das ein vernichtender Satz, er will seine Gäste nämlich nicht bloß vollstopfen, sondern ihnen das Genießen beibringen.

 

Carsten Fiebelers Komödie „Sushi in Suhl“ spielt in der DDR der siebziger Jahre, sie basiert auf der wahren Geschichte eines Mannes, der sich im Land der Sättigungsbeilagen einen kulinarischen Traum erfüllen wollte. Zunächst jedoch sind Rolfs kreative Einfälle, etwa eine Maikäfersuppe, den Damen und Herren von der Gastronomiebehörde HO buchstäblich zu knackig. Aber er macht unbeirrt weiter, auch wenn sein Freund und Aufpasser von neuen Experimenten abrät.

Sake stilecht aus dem Eierbecher

Kulinarischer Kapitalismus

Nachdem Rolf sich das Buch „Die Küchen der Welt“ besorgt hat, probiert er es in seinem hinteren Saal mal japanisch, lässt sich von einem Schreiner Stäbchen anfertigen, sägt Stuhlbeine ab für eine Art Sitzknien, deklariert angewärmten Tokajer zu Sake um und Eierbecher als dazu passende Gefäße. Die eingeladenen Kumpel steckt er vor dem Essen, so viel Kultur muss sein, in Judoanzüge, die er sich irgendwo „geborgt“ und eingefärbt hat.

„Aus nichts was machen!“, erklärt Rolf stolz und dürfte damit Alltagserfahrungen mit der DDR-Mangelwirtschaft aussprechen, in welcher die staatlichen Augen bei Tauschhandel und Eine-Hand-wäscht-die-andere-Geschäften notgedrungen auch mal zugedrückt wurden. Aber eine solch exotische Küche in der thüringischen Provinz? Das gehe zu weit, das sei kulinarischer Kapitalismus, wird Rolf beschieden: „Du kannst keine Begehrlichkeiten wecken!“ Dabei ist er alles andere als ein politischer Rebell, er will Honeckers Staat weder verändern noch aus ihm fliehen, er will ihn nur durch „sein“ Japan bereichern. Und auch dieser Film, der am Ende zu viel erzählt und deshalb dramaturgisch ausfranst, hat mit rückwirkender Systemanklage nichts im Sinn. „Sushi in Suhl“ möchte keine scharfe Satire, sondern verschmitzt-nostalgische Komödie sein. In den liberaleren Perioden der DDR hätte sie, nach ein paar Schnittauflagen, vielleicht sogar im Kino laufen dürfen.

Putzig-skurriler Funktionärsapparat

Bei uns aber ist schon lange ein erbitterter Kampf um die Erzähl-, Bilder- und Deutungshoheit in Sachen DDR im Gang. Verharmlost Leander Haußmann diesen Staat in seiner fröhlichen Klamotte „Sonnenallee“ (1999)? Bevormundet der Westdeutsche Florian Henckel von Donnersmarcks im Film „Das Leben der anderen“ (2006) den Osten und reduziert ihn auf Stasiumtriebe? Zeigt die gerade im Fernsehen gelaufene Romanadaption „Der Turm“, die der in Leipzig und Ostberlin aufgewachsene Christian Schwochow inszeniert hat, endlich das wahre Leben in der DDR? Schwochow selber findet „Das Leben der anderen“ ärgerlich eindimensional, in seinem facettenreicheren „Turm“ versuchen die Protagonisten, sich dem System durch das Einigeln in einer großbürgerlichen Enklave zu entziehen, was ihnen jedoch nicht ganz gelingt. „Sushi in Suhl“ dagegen erzählt nun von einer eher kleinbürgerlichen Flucht in ein kulinarisches Fantasia und von einem Helden, der von staatlichen Stellen zwar manchmal behindert, aber nie wirklich bedroht wird.

Nische gesucht – und gefunden

Diese Film gewordene DDR-Anekdote richtet sich also gemütlich ein in der Nostalgie und bleibt auch in der Schilderung des Funktionärsapparats putzig-skurril. Dass Rolfs kleiner Sohn, der sonst kaum eine Rolle spielt, manchmal als Erzähler zu hören ist, wirkt hier wie die Legitimation eines harmlos-kindlichen Tonfalls. Sein Vater, der sich von seiner Frau trennt und mit einer als Geisha kostümierten Kellnerin zusammenzieht, wird schließlich zum staatlich nicht nur geduldeten, sondern geförderten Renommiergastronomen („Kochen für den Weltfrieden“), in dessen Restaurant sogar Japaner verkehren und das „Heideröslein“ singen.

Nach innen geht der Weg! „Sushi in Suhl“ zeigt die DDR als Biedermeierstaat, dessen Bürger sich Nischen suchen und finden. Und Uwe Steimle als Rolf passt ja auch physiognomisch gut zu jenen braven Sonderlingen, die Carl Spitzweg damals so liebevoll porträtiert hat.