Todd Field legt mit dem Porträt einer Star-Dirigentin, gespielt von der zweifachen Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett, seinen dritten Kinofilm vor.

Herzlich wurde die mit zwei Oscars („Aviator“, „Blue Jasmine“) ausgezeichnete Cate Blanchett auf der gerade zur Ende gegangenen 73. Berlinale begrüßt. Die Fans jubelten der Titelheldin von „Tár“ zu, als sie in ihrem bodenlangen, rückenfreien Abendkleid zur Gala über den Grünen (Öko-)Teppich schritt. Lächelnd, winkend, strahlend schön.

 

Sie ließ sich die Verwunderung – und Empörung –, die das Drama im Vorfeld der Filmschau unter Medienschaffenden ausgelöst hatte, nicht anmerken. Grund: Die Produktion, die in der Sektion Berlinale Special zur Aufführung kam, war bereits auf den Filmfestspiele von Venedig im Wettbewerb zu sehen gewesen. Ob dieser Reprise, ein No-Go im internationalen A-Festivalzirkus, wurde der Künstlerische Leiter Carlo Chatrian heftig angegriffen. Er wies die Vorwürfe nonchalant von sich, begründete die Einladung mit der Qualität der Arbeit.

Die Rolle wurde Blanchett auf den Leib geschrieben

Inszeniert wurde sie von Todd Field, der 21 Jahre nach seinem Kinoerstling „In the Bedroom“ und 16 Jahre nach „Little Children“ seinen heiß erwarteten, dritten Spielfilm vorlegt. Als schwierig und kompromisslos gilt der kalifornische Regisseur, zig Projekte hat er abgebrochen beziehungsweise abgelehnt, weil Herstellungs- und Finanzierungsbedingungen nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Blanchett hat er nach eigenen Angaben das Drehbuch auf den Leib geschrieben. Ein Glücksfall, wie das Ergebnis zeigt – und die zweite Coppa Volpi (nach „I’m Not There“), die ihr die Jury am Lido für die komplexe Rolle zusprach.

Cate Blanchett spielt die weltberühmte, fiktive Dirigentin Lydia Tár. Diese ist am Zenit ihrer Karriere angelangt, hat bereits einen Emmy, Grammy, Academy Award und Tony gewonnen. Die Chefin der Berliner Philharmoniker plant ihren nächsten Coup. Die Powerfrau will den kompletten Zyklus von Gustav Mahler einspielen. Das hat vor ihr noch niemand gemacht. Es fehlt nur noch die 5. Sinfonie, deren Premiere corona-bedingt verschoben werden musste.

Machtmissbrauch, Gefühlskälte, Genialität und Egoismus zeichnen Tár aus

Doch das Vorhaben entpuppt sich, trotz der umsichtigen Organisation ihrer Assistentin Francesca (Noémi Merlant), als überaus schwierig. Vor allem aus persönlichen Gründen. Mit ihrer bislang toleranten, duldsamen Partnerin, der von Nina Hoss („Barbara“) zurückhaltend, fast passiv verkörperten ersten Geigerin, bekommt sie Ärger, als sie sich in die junge russische Cellistin Olga (Sophie Kauer), die neu zur Truppe stößt, verliebt.

Zudem wird die gemeinsame Tochter Petra (Mila Bogojevic) an der Schule gemobbt, während eine junge Musikerin, einst von Tár gefördert, dann doch fallen gelassen, Selbstmord begeht. Noch schwerer allerdings wiegen die Rassismus- und Übergriffsvorwürfe, die im Netz gegen die Star-Dirigentin erhoben werden.

Auf den ersten Blick ein Film über Musik und die Musikwelt, in die tief eingetaucht wird. Als Zuschauer nimmt man 158 Leinwandminuten lang Teil an Társ atemlosen Leben. Wird Zeuge ihres vor Publikum stattfindenden „New-Yorker“-Interviews, begleitet sie zum Essen mit ihrem Mäzen, den von ihr verachteten Kollegen Elliot Kaplan (Mark Strong), oder besucht sie in ihrer High-End-Luxuswohnung, die sie sich mit der Ehefrau teilt. Glas, Stahl und Symmetrie dominieren. Frostig, entsprechend der Gefühlswelt ihrer Besitzerin, ist das Ambiente. Nach absoluter Kontrolle strebt sie. Im Kern geht es um Macht und Machtmissbrauch.

Brillant die Szene in der sie, vehemente Gegnerin des Genderns – eines von mehreren zeitnahen Themen das der Filmemacher aufgreift –, bei einer Gastvorlesung einen afroamerikanischen Studenten (Zethphan Smith-Gneist) abkanzelt, weil er sich weigert, Werke „alter weißer Männer“ zu spielen. Wortgewaltig, giftig, ohne die Ruhe zu verlieren, legt sie die Widersprüche seiner Argumentation geschickt offen. Geschlagen, gedemütigt, verlässt der Kontrahent den Raum. Nicht ohne sie vorher als „Bitch“, also „Schlampe“, bezeichnet zu haben. Als die sie sich in der Folge erweist. Sie ist keine Person, mit der man es unbedingt zu tun haben möchte, stets lediglich auf den eigenen Vorteil bedacht. Eine fulminante One-Woman-Show, umgesetzt mit eisernem Stilwillen, sublim ausgestattet, grandios fotografiert vom deutschen Kameramann Florian Hoffmeister („True Detective“). Hinzu kommen (unnötige) Nebenstränge. Horrorelemente inklusive. Frauenschreie, die Tár beim Joggen im Wald hört, ein wilder Hund, der sie im Keller verfolgt. Realität oder Einbildung? Dazu endlose, primär für Klassikfreunde spannende Gespräche über Musik und musikalische Einflüsse, bei denen sogar Hildur Guõnadóttir („Joker“), die für den Score verantwortlich zeichnet, Erwähnung findet. Ein ambitioniertes, wuchtiges Opus. Bleibt abzuwarten, wie das breite Publikum die Arthouse-Extravaganz aufnimmt.

Tár. USA 2022. Regie: Todd Field. Mit Cate Blanchett, Nina Hoss, Noémi Merlant. 158 Minuten. Ab 12 Jahren. Start 2. März.