Die Gründer der Privatschule sind türkischstämmige Migranten. Der Ministerpräsident lobt bei der Eröffnung des Neubaus die pädagogischen Ansätze des Ganztagsunterrichts und der individuellen Förderung.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart-Münster - Mit einer Nachhilfeinitiative hat einst alles angefangen – man glaubt es kaum, steht man im kolossalen Neubau der BiL-Schulen, der am Samstag feierlich eröffnet worden ist. Und dass ein Ministerpräsident sich hier in Stuttgart-Münster Nachhilfe in Sachen Bildungspolitik für seine Landesregierung holen will, das möchte man erst auch nicht so recht glauben. Selbst wenn es aus dem Mund von Winfried Kretschmann kommt.

 

Doch der Regierungschef kann das erklären. Denn viel von dem, was die von türkischstämmigen Stuttgartern gegründete Privatschule anbietet, sei wünschenswert für das Bildungssystem im Land, sagte Kretschmann. Die BiL-Schulen, Realschule und Gymnasium unter einem Dach, sind eine Ganztagsschule nach dem Geschmack des Ministerpräsidenten: Sie böten am Nachmittag nicht nur Betreuung an, in dieser Zeit fände auch Unterricht statt. Zudem setze das pädagogische Konzept sehr stark auf individuelle Förderung.

Migrantenkinder machen erfolgreich Mittlere Reife und Abitur

Diese zwei Faktoren haben für Kretschmann einen wesentlichen Anteil daran, dass die Bil-Schulen das System auf den Kopf stellen: Während an anderen Realschulen und Gymnasien Kinder mit Migrationshintergrund in der absoluten Minderheit seien, würden an den BiL-Schulen fast alle Kinder aus Familien mit Wurzeln in anderen Ländern die Mittlere Reife und das Abitur ablegen. „Warum gelingt hier, was andernorts nicht gelingen will?“, fragte er.

„Die BiL-Schulen sind ein Stachel im baden-württembergischen Schulsystem“, folgerte Kretschmann. Seine grün-rote Landesregierung werde weiter daran arbeiten, das Bildungssystem so zu reformieren, „dass alle ihr Potenzial entfalten können, und zwar von Anfang an.“

Mit einer Nachhilfeinitiative fing alles an

Den Anfang der Schule hatten einst Muammer Akin und Haluk Ceran gemacht. Mit einer Nachhilfeinitiative, die Migrantenkindern helfen sollte, wenn Eltern und Schule die notwendige Förderung nicht leisten konnten. Daraus wurde ein Bildungshaus, dessen Abkürzung „BiL“ als Schulname geblieben ist. Das entwickelte sich schließlich weiter, bis die BiL-Schulen im Schuljahr 2004/05 gesetzlich anerkannt wurden. Das bedeutet, dass man an der Privatschule den gleichen Schulabschluss erwerben kann wie an den staatlichen Schulen. Akin fungiert nun, da seine kleine Initiative zur großen Schule herangewachsen ist, als ihr Geschäftsführer. Sein Weggefährte Haluk Ceran sitzt dem Schulverein vor. Die Schule soll nun noch bunter werden. Bereits ein Drittel der Kinder und Jugendlichen seien nicht aus Migrantenfamilien, berichtete Erhard Hönes, der Leiter des Gymnasiums. „Die Eltern haben sich vor allem wegen des Ganztagsangebots für uns entschieden“, sagte Hönes. Es sei nun seine Aufgabe, „die Öffnung weiter voranzubringen“.

Die Neugier in Münster ist groß. Der Andrang der Gäste war so gewaltig, dass im Gedränge eine Frau medizinische Hilfe brauchte. Die Eröffnungsfeier musste mit Videokameras vom Festsaal in andere Räume des Schulgebäudes übertragen werden.

„Es war mutig, aus einer kleinen Initiative ein solches Schulprojekt zu beginnen“, lobte Wolfgang Schuster die Initiatoren bei einem seiner letzten Auftritte als Oberbürgermeister. Dass in Stuttgart die Zusammenarbeit mit türkischstämmigen Mitbürgern auf vielen Ebenen klappt, konnte er so seinem Kollegen Kadir Topbas, dem Bürgermeister von Istanbul, gleich bei zwei Gelegenheiten hintereinander zeigen: Vor der Eröffnung des Schulneubaus hatten die beiden mit Unternehmern das Istanbul-Stuttgart Centre for Economy, Science and Technology gegründet. Den ersten „Pfeiler dieser Brücke“ zwischen den Wirtschaftsstandorten hatten Schuster und Topbas, bereits im Herbst in der türkischen Metropole am Bosporus errichtet – auch dort in Zusammenarbeit mit Unternehmern.