Exklusiv Die Einigung wurde gefeiert wie ein historisches Ereignis: Der Neubau der Cranko-Schule in Stuttgart schien endlich besiegelt. Doch nun ist wieder alles offen: die Architekten wehren sich vehement gegen Einsparungen an der Fassade.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Einigung wurde gefeiert wie ein historisches Ereignis. Allseits herrschte Frohlocken, als sich das Land, die Stadt und die Stuttgarter Staatstheater im September auf einen neuen Kostendeckel für die John-Cranko-Schule verständigt hatten. „Nach 17 Jahren ist der Durchbruch gelungen, darüber sind wir sehr froh“, jubilierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Dem jahrelangen Stillstand folge nun endlich das „erwartete Signal für die Kompanie“, sekundierte die Kunstministerin Theresia Bauer (beide Grüne). Und der Finanzstaatssekretär Ingo Rust (SPD) lobte das breite Einvernehmen: „Wir haben den Architektenentwurf auf geeignete Einsparpotenziale untersucht und die Lösung mit allen Beteiligten abgestimmt.“ Das Resultat: Statt 50,2 Millionen Euro solle der Neubau am Urbansplatz nur noch 44,9 Millionen Euro kosten, einschließlich eines Risikopuffers von fünf Millionen Euro.

 

Elf Wochen liegt der „Durchbruch“ inzwischen zurück, seither wurde es stiller um den Neubau für die weltweit renommierte Ballettschule. Doch die Ruhe war trügerisch. Hinter den Kulissen herrscht heute wieder Dramatik, unversehens droht das Vorhaben doch noch zu scheitern. Mit den meisten Beteiligten waren die Abstriche in der Tat abgestimmt; auch Stadt und Theater zeigten sich einverstanden. Doch ein zentraler Akteur war oder fühlte sich zumindest nicht hinreichend eingebunden: die Architekten. Sie hadern derart mit den Sparplänen – vor allem in einem Punkt –, dass die Realisierung ihres Entwurfs wieder auf der Kippe steht.

Wenig bekanntes Büro siegt über Branchenstars

Burger Rudacs heißt das Münchner Büro, das 2011 überraschend den Architektenwettbewerb für die Cranko-Schule samt Internat und Probebühne gewann. Selbst den Berufskollegen im Preisgericht sagte der Name wenig. Doch die Bayern hatten die ungewöhnlich schwierige Aufgabe nach ihrem Urteil am überzeugendsten gemeistert. Nur 24 von 30 eingeladenen Büros reichten überhaupt einen Entwurf ein. Internationale Stars wie Zaha Hadid aus London, der Däne Henning Larsen oder die Berliner Sauerbruch Hutton schieden schon in den ersten Runden aus. Selbst renommierte Großbüros wie Gerkan Marg Partner – die Planer etwa des Berliner Hauptbahnhofes oder der gläsernen Terminals am Stuttgarter Flughafen – oder die Berliner Dependance der Spanier Nieto Sobejano verwiesen Birgit Rudacs und Stefan Burger auf die Plätze.

Am besten von allen Teilnehmern, so die zentrale Begründung des Preisgerichts, hätten sie die Hanglage des Grundstücks berücksichtigt: mit terrassenartig gestaffelten Baukörpern überwanden sie den Höhenunterschied von zwanzig Metern. Das Ergebnis sei ein „gelungenes skulpturales Bauwerk“. Nur ein Aspekt war in der Jury nicht unumstritten: die Fassade aus Sichtbeton. Diese werde im weiteren Planungsprozess sicher noch „ausgiebig diskutiert“, erwarteten auch die Architekten; bei Konzepten mit Sichtbeton sei das nichts Ungewöhnliches. Doch es blieb bei eher leisen Fragen aus der Fachwelt, ob das Material in Deutschland ähnlich perfekt wie in der Schweiz, wo man mehr Übung damit hat, verarbeitet würde. Just die Fassade ist es, die nun zur entscheidenden Klippe für den Entwurf werden könnte, denn daran wollen Stadt und Land stattliche 900 000 Euro sparen; statt Sichtbeton ist nun eine billigere Lösung mit wärmedämmenden Verbundplatten geplant, wie sie sich an vielen banalen Investorenprojekten finden.

Architekten fürchten um Seele ihres Entwurfs

Burger und Rudacs erfuhren davon, wie man hört, aus der Zeitung – und waren hellauf entsetzt. Sie sahen die gesamte Anmutung des Baus und damit gewissermaßen die Seele ihres Entwurfs infrage gestellt. Aktuell wollen sich die Architekten zwar nicht äußern, mit Rücksicht auf die laufenden Gespräche mit Stadt und Land. Doch auf ihrer Homepage steht ein Interview, in dem sie schon früher die Bedeutung des Sichtbetons hervorgehoben haben. „Das Fassadenmaterial soll die Klarheit des Baukörpers unterstreichen und den öffentlichen Charakter der Schule stärken“, heißt es darin. „Die Kleinmaßstäblichkeit der Oberfläche“ – gemeint ist die sogenannte liegende Brettstruktur – „kontrastiert dabei die Großform“.

Gegen den Willen der Architekten, die das Urheberrecht besitzen, könnte die Fassade wohl nicht grundlegend verändert werden. Bleibt es bei ihrem Veto, droht eine gerichtliche Klärung mit womöglich jahrelangen Verzögerungen. Die Alternative, sich von dem Entwurf zu verabschieden und einen anderen zu realisieren, bedeutet indes wohl einen ähnlichen Verzug.

Staatssekretär Rust soll schlichten

Entsprechend intensiv bemühen sich Stadt und Land um eine gütliche Lösung des Konflikts, der von einem Sprecher des Finanzministeriums auf Anfrage bestätigt wurde. Doch Burger Rudacs, heißt es in Stuttgart, zeigten sich bis jetzt „nicht sehr kompromissfreudig“. Einsparungen von 900 000 Euro, verlautet aus München, könne man nicht akzeptieren; zudem sei eine Billiglösung nur vordergründig günstiger. Sollte das gesamte Projekt daran scheitern, würde man dies sehr bedauern.

Auch die Stadt und das Land wollen ein Scheitern, wenn irgend möglich, abwenden. Alle Hoffnungen ruhen nun auf dem Finanzstaatssekretär Rust, der für sein diplomatisches Geschick bekannt ist. Wenn seine Gespräche mit den Architekten Erfolg haben, hört man, könne noch vor Weihnachten ein Durchbruch erzielt werden – dann hoffentlich der endgültige.