Doch wo sind die eigentlich? Beim steilen Blick nach oben erscheint diese kantig-gläserne Dachlandschaft als beinahe surrealer, entmaterialisierter Körper. Die großflächig mit Folie bedruckten Glasflächen, die sich mit den Grau- und Blautönen des Himmels vermischen, bringen eine vollkommen neue Ästhetik in die Stadt, rufen Irritationen hervor. An machen Stellen besitzen die steil geneigten Dachflächen sogar nahezu die gleiche Höhe wie die darunter liegenden Vollgeschosse. Die Maßstäblichkeit, die über die Vorgabe der rund zwanzig Meter hohen Traufkante spürbar werden sollte, wird dadurch deutlich infrage gestellt, die Proportionen zwischen Haus und Dach wirken fremd.

 

Für Stefan Behnisch ist jedoch das Dach als „fünfte Fassade“ entscheidend: „In New York schaut niemand auf die Dächer, in Stuttgart schon“, hebt er hervor. Gerade beim Blick aus der Halbhöhenlage erinnert man sich an diesen Satz: Dann kehrt sich die Präsenz der Dächer plötzlich um. Von oben zeigen sie ihre wahre Größe, Körperhaftigkeit und Dominanz.

Bezug zum Stuttgarter „Nachkriegs-Expressionismus“ der 50er und 60er Jahre

Die Sprache, die Behnisch Architekten für ihre Neubauten wählten, setzt sich dezidiert vom sachlich-nüchternen Formenkanon der Weißenhof-Moderne ab – den Geist des Ortes fanden sie vor allem im Stuttgarter „Nachkriegs-Expressionismus“ der fünfziger und sechziger Jahre: Rolf Gutbrods BW-Bank am Kleinen Schlossplatz und dessen Hahn-Hochhaus an der Friedrichstraße. Durch die bis zu 34 Meter hohen Häuser entlang der schmalen Straßenräume entsteht freilich eine Dichte, die das Dorotheen-Quartier merklich von Gutbrods Bauten unterscheidet.

Doch ohne Frage haben Behnisch Architekten mit ihren Neubauten, deren Figur den historischen Stadtplan nachzeichnet, einen wichtigen Beitrag geleistet, wie Architektur und Kommerz zusammenfinden und dabei einen öffentlichen Raum schaffen können. Damit geben sie der Stadt etwas Entscheidendes zurück und zeigen, dass dies – anders als bei den auf sich bezogenen Shoppingmalls Milaneo oder Gerber – möglich ist. Ob Stuttgart dieses mehr als 200 Millionen Euro teure Luxusquartier tatsächlich braucht, ob es damit Weltstadt wird, muss sich noch zeigen. Sicher ist hingegen, dass das Dorotheen-Quartier exklusiv bleiben wird. Seine Klientel wird nur ein Ausschnitt des urbanen Lebens sein.