Zwischen den neuen SWR-Fernsehstudios und einem Bürohaus liegen Welten.

Stuttgart - Die frisch verputzte Ecke hat eine Macke. Man sieht deutlich, dass da jemand mit großer Wucht dagegengefahren sein muss. „Waren Sie das?”, fragt Udo Vocke freundlich zwei Handwerker, die gerade eine Schubkarre durch den Gang schieben. „Nein”, beteuern die beiden und ziehen ihres Weges.

 

Lokaltermin im Neubau des Südwestrundfunks in Stuttgart. Der Leiter des Gebäudemanagements des SWR führt durch den Neubau an der Neckarstraße. Noch wird an allen Ecken und Enden gewerkelt. An manchen Stellen kleben kleine Zettel. „Da stehen die Mängel drauf, die noch behoben werden müssen”, erläutert Vocke. Nach dem Lokaltermin wird wohl auch an der beschädigten Ecke ein Zettel kleben.

Wenn alles nach Plan läuft, können im Mai dieses Jahres nach dreijähriger Bauzeit die ersten der 480 Mitarbeiter ihre neuen Büros und Redaktionsräume beziehen. Mit einer Bruttogrundfläche von 29 000 Quadratmetern, 11 400 Quadratmeter davon allein für Büros, ist das Platzangebot gegenüber den alten Fernsehstudios im Park der Villa Berg allerdings deutlich kompakter. Voraussichtlich ab Ende Januar 2012 soll dann auch der Sendebetrieb aus dem neuen Gebäude erfolgen. Mit dem Einbau der Studiotechnik kann nämlich erst begonnen werden, wenn die rein baulichen Maßnahmen abgeschlossen sind.

Kein normales Bürogebäude

„Ein solches Gebäude hat mit einem normalen Bürogebäude relativ wenig zu tun”, erklärt Udo Vocke die lange Bauzeit. Die Planungen für ein derartiges Objekt seien schon deshalb so schwierig, weil sich beim Hörfunk wie beim Fernsehen durch die technische Weiterentwicklung im Laufe der zurückliegenden zehn Jahre auch bei den Prozessabläufen ständig etwas verändert habe. „Manche Anforderungen haben den Planern richtig Kopfzerbrechen bereitet”, erinnert sich Vocke. Vor allem die funktionalen Zusammenhänge bei den Programmabläufen müssten wie Zahnräder ineinandergreifen. „Gerade das macht aber die Arbeit an so einem Gebäude so unheimlich interessant”, erklärt Vocke, selbst Architekt.

Planer müssen Produktionsabläufe verstehen

Nicht nur bautechnisches Neuland wurde betreten. Der Südwestrundfunk musste in den ersten Jahren auch mit Anwohnerprotesten umgehen lernen. „Wir sind das aber aktiv angegangen, indem wir versucht haben, zur Nachbarschaft einen guten Kontakt zu pflegen und regelmäßig zu informieren”, erinnert sich der Projektleiter. Dazu gehörte auch, die Beeinträchtigungen während der Bauzeit nicht zu verschweigen. Damit letztendlich alles „wie am Schnürchen” klappt, war eine ausgeklügelte Projektplanung inklusive einer Baudokumentation mittels einer speziellen Software notwendig.

Die Planer des neuen SWR-Gebäudes mussten allerdings zunächst die Produktionsabläufe eines Hörfunk- und Fernsehsenders verstehen. Dazu wurden Schnittstellen zwischen den Produktionseinheiten des SWR und den beteiligten Fachplanern gebildet. „Ein Architekt allein kann das gar nicht bewältigen”, erklärt dazu Vocke. Vor allem die Abläufe in einem modernen Rundfunk- und Fernsehbetrieb erfordern sehr spezielle Kenntnisse. Obwohl das schon für Außenstehende schwierig genug ist, mussten sich die beteiligten Planer im Laufe der Jahre auch noch mit dem Wandel von der Analog- zur Digitaltechnik in der Fernsehtechnik auseinandersetzen. Denn als vor zehn Jahren in einer ersten Machbarkeitsstudie vom SWR untersucht wurde, ob ein derartiges Vorhaben am Standort des ehemaligen Parkhotels überhaupt funktionieren könnte, ging man noch von analogen Produktionstechniken aus. „Bei der Ausschreibung der Architektenleistung im Jahr 2003 war deshalb schnell klar, dass wir keine konventionelle Planung brauchen konnten”, so Vocke. Deshalb wurden die ganzen funktionalen Zusammenhänge schon in der Ausschreibung dargestellt und auch im Wettbewerb entsprechend gewürdigt, erinnert sich der SWR-Projektleiter. Von dem ursprünglichen Siegerentwurf des Braunschweiger Architekturbüros Struhk ist mittlerweile nur die äußere Hülle übrig geblieben. „Das Innenleben des Gebäudes sieht heute ganz anders aus als damals. Der erste Entwurf war einfach nicht realisierbar.” So mussten bei den Fundamenten örtliche Besonderheiten wie die Nähe der Mineralquellen berücksichtigt werden. Das hat sich auch auf die Statik und Tragwerkplanung des Gebäudes ausgewirkt. Auch bei der Lüftung ist man neue Wege gegangen. So wird in den Studios künftig eine sogenannte chaotische Luftführung eingesetzt. Dadurch könnten die Energiekosten um bis zu 40 Prozent gegenüber einer konventionellen Lüftung gesenkt werden, erklärt Vocke. Innovationen auch bei der Beleuchtung. In den Flurbereichen des neuen SWR-Gebäudes kommen künftig LEDs zum Einsatz. Damit das alles funktioniert, mussten rund 500 Kilometer Kabel verlegt werden. Das entspricht einer Strecke von Frankfurt nach Hamburg.

Neuen Techniken wird nicht blind vertraut

Bei der Fassadenverkleidung setzt der SWR auf ein neues Material, welches die darunter liegende Außendämmung architektonisch anspruchsvoll und effizient verdeckt. Durch diese Kombination könne man nicht nur den Anforderungen der Energieeinsparverordnung, sondern auch den Vorgaben der Stadt nach einer Unterschreitung dieser Norm um weitere 20 Prozent entsprechen, freut sich Vocke. Allerdings baut der Sender nicht blind auf neue Techniken. „Wir machen grundsätzlich vor jeder Entscheidung eine Wirtschaftlichkeitsberechnung.” Nur was sich mittel- und langfristig auch rechne, werde im neuen SWR-Haus auch eingebaut, so Vocke. Rund 86,5 Millionen Euro wird der SWR-Neubau ohne Studiotechnik am Ende wohl kosten. Das ist ein Drittel mehr als an Baukosten in den ersten Planungen von vor zehn Jahren veranschlagt war.

Im Vergleich zu anderen Bauprojekten schneide der SWR bei den Mehrkosten aber „noch sehr gut ab”, meint Vocke und führt die Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21 oder den Leipziger Citytunnel als Beleg an, wo Kostensteigerungen von teilweise 70 Prozent und mehr herausgekommen seien. Vor allem der lange Planungszeitraum trieb beim SWR-Neubau die Kosten in die Höhe. So lagen laut SWR die Angebote auf die erste Ausschreibung für die Generalunternehmer bereits über der ursprünglichen Kostenschätzung. Erschwerte Gründungsarbeiten, gestiegene Rohstoffpreise und notwendige konzeptionelle Anpassungen des künftigen Produktionsprozesses führten zusätzlich dazu, dass die Kosten stiegen.