Am Wochenende hat Frankfurt seine rekonstruierte Altstadt mit einem großen Bürgerfest eingeweiht. Die Unbeschwertheit, mit der diese Wiedergeburt gefeiert wird, ist neu in der Debatte um architektonische Nachbildungen.

Frankfurt am Main - Was weg ist, ist weg. Sinngemäß lautete so ein ungeschriebenes Gesetz, erlassen von den Vätern des modernen Denkmalschutzes, Georg Dehio und Alois Riegl. Wenn verfallenes Gemäuer schon zu ergänzen war, dann sollten alt und neu klar zu unterscheiden sein. Nachahmung des Gewesenen war ästhetisch verpönt. Nach 1945, als die Städte in Trümmern lagen, verschärfte sich diese Ablehnung von Rekonstruktionen im öffentlichen Diskurs noch um eine moralische Komponente: Damit werde die belastete Vergangenheit negiert, hieß es – wer an die Tradition anknüpfen wollte, stand im Verdacht der Geschichtsklitterung.

 

Exemplarisch war der Streit, der um den Wiederaufbau des 1944 zerstörten Goethe-Hauses in Frankfurt tobte. Dessen Rekonstruktion käme einer Fälschung gleich, schrieb der Publizist Walter Dirks 1947 in seinem Essay „Mut zum Abschied“. Immerhin sei das Haus nicht durch einen Bügeleisenbrand vernichtet worden, es habe daher „seine Richtigkeit mit diesem Untergang“. Zwar wurde das Gebäude dann doch originalgetreu wieder errichtet, aber die Bedenken blieben, abzulesen unter anderem an den Kontroversen um das Berliner Schloss oder die Dresdner Frauenkirche.

Wenn nun die Neue Frankfurter Altstadt am Wochenende mit einem dreitägigen Bürgerfest eingeweiht wurde, dann hat sich im ewigen deutschen Rekonstruktionszwist offensichtlich etwas Grundlegendes verändert. Zwar gibt es immer noch die kritischen Stimmen, die dieses städtebauliche Experiment als „Fake“ verurteilen, aber die allgemeine Begeisterung überwiegt. Der Grund für diese neue Unbeschwertheit ist sicher in der zeitlichen Distanz zu den Kriegszerstörungen und der deutschen Kriegsschuld zu suchen. Die Aufarbeitung der Nazi-Diktatur manifestiert sich inzwischen, anders als 1945, in zahlreichen Gedenkstätten und Dokumentationszentren, Sack und Asche will die demokratische Gesellschaft über siebzig Jahre nach Kriegsende aber nicht mehr tragen.

Konservativ und modern sind nicht mehr so leicht zu unterscheiden

Ebenso schwer wiegt wohl, dass die Debatte um nachgebildete Bauten heute differenzierter geführt wird. Gut und böse, konservativ und modern, links und rechts sind nicht mehr so leicht zu unterscheiden wie bisher. So votierte die SPD im Frankfurter Stadtrat zwar gegen das Altstadt-Projekt, aber nicht weil sie weniger Fachwerk wollte, sondern mehr. Und der Architekturhistoriker Wolfgang Voigt hat kürzlich nachgewiesen, dass die Nationalsozialisten planten, die zerstörte Frankfurter Altstadt als Ruinenfeld zu bewahren – als Zeichen der Anklage gegen die Bombardements der Alliierten. Motive wie „Abschied nehmen“, „Aufbau der Stadt ohne nostalgischen Kompromiss“ seien im letzten Jahr der NS-Herrschaft bereits zentrale Elemente des Diskurses gewesen. Eine Stunde Null, folgert Voigt, habe also auch die Erinnerungskultur nicht gekannt.

Eine Ausstellung des Münchner Architekturmuseums legte 2010 dar, dass Rekonstruktionen seit der Antike in nahezu allen Kulturen gängige Praxis sind. Neben den Brüchen und Neuerungen, so erfuhr man, gab es immer auch eine Kontinuitätsgeschichte der Architektur. Als „Depot gesammelter Erinnerungen“ bezeichnete die Kulturwissenschaftlerin und diesjährige Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Aleida Assmann die Stadt damals in einem Aufsatz über die Ursachen des Bedürfnisses nach Rückholung der Geschichte. Das stark emotional gefärbte Engagement unserer Zeit für ältere Bauten führt sie auf die kollektiven Traumata zurück, die der Verlust dieser Erinnerungsdepots durch Bomben und eine abrisswütige Moderne hervorgerufen habe – wovon gerade Stuttgart ein Lied singen kann. Nur im Medium der Architektur, schreibt Assmann, gebe es nämlich das, was im Leben sonst meist ausgeschlossen ist: „die Gnade einer zweiten Chance“.