Der Journalist und frühere Mercedes-Direktor für den Motorsport, Norbert Haug, berät jetzt einen Hersteller behindertengerechter Fahrzeuge: Die Firma Paravan mit Sitz in Trochtelfingen.

Aichelau - Norbert Haug ist wieder da. Ein Jahr lang war es um den langjährigen Mercedes-Motorsport-Chef ruhig gewesen. Nun hat er eine neue Aufgabe gefunden. Er ist Berater eines Unternehmens für die Konstruktion behindertengerechter Fahrzeuge. Die Firma Paravan hat ihren Sitz in Aichelau (Kreis Reutlingen) auf der Schwäbischen Alb. „Menschen helfen und dabei wirtschaftlich erfolgreich sein – eine ideale Konstellation“, sagt der 60-Jährige recht abgeklärt. Viele hatten spekuliert, dass das außerhalb des Cockpits bekannteste Gesicht des deutschen Motorsports als Macher irgendeines Rennteams in einer Rennserie wieder auftaucht. An den 300-Einwohner-Ort Aichelau, einen Ortsteil von Trochtelfingen, hat keiner gedacht. „Paravan-Chef Roland Arnold und ich haben gemeinsame Freunde“, klärt Haug auf, „und der Roland hat mich halt mal angesprochen.“ Als vor wenigen Wochen eine Mitteilung über Haugs Mitarbeit bei Paravan versandt wurde, glaubte manche an einen Marketing-Gag des Unternehmens.

 

Ein Treffen mit Haug findet nicht in seinem neuen Wohnort Stuttgart, sondern tatsächlich in Aichelau statt. Smartphone und iPad beanspruchen die Aufmerksamkeit des Schwaben noch für einige Minuten, neben ihm im Besprechungszimmer liegt der neue „Focus“ mit einer Haug-Story. Titel: Sebastian der Übervettel? „Da habe ich mal wieder als Autor zugeschlagen“, sagt der frühere Chefredakteur von „Sport Auto“ und Vizechef von „Auto, Motor und Sport“ zu seinem Gesprächspartner und lächelt dabei zufrieden. Mit Esprit und Souveränität schreibt er über den Weltmeister, und nicht über sein Ex-Team.

Das autonome Fahren per Joystick ist das Thema der Zukunft

Schnell driften die Gesprächsthemen weg von Red Bull oder Ferrari hin zu „Space Drive II“. Nicht der interessiert zuhörende Firmenchef Roland Arnold erklärt die jüngste Entwicklung seines Hauses, sondern sein neuer Mitstreiter. Es geht um das autonome Fahren per Joystick oder per Funkfernbedienung. Temperamentvoll wie in seinen besten Mercedes-Tagen springt Haug auf, skizziert an einem Zeichenbrett, wie in Fahrzeugen der Zukunft auf eine Lenksäule verzichtet wird. Denn dieses Bauteil mit dem Lenkrad am oberen Ende, das die Form von Innenräumen prägt, kann bei Unfällen zur Gefahr werden.

Kerngeschäft von Paravan bleibt die Ausrüstung von Behindertenfahrzeugen, aber Haug sieht schon fahrerlose Muldenkipper-Kolonnen auf Baustellen, Mähdrescher auf Landstraßen oder in brennende Tunnels rollende Löschfahrzeuge als Einsatzgebiete von „Space Drive II“. Tief mit dem Thema verbunden spricht er über die absolute Zuverlässigkeit des Systems. Im Oktober kam die Tüv-Freigabe. Klar, Haug knüpft Kontakte für Paravan, „aber das führt nur zum Erfolg, wenn das Produkt passt“.

Autofahren – ein Stück Freiheit für behinderte Menschen

Wieder ein Themenwechsel. Haug berichtet leise und ernst von Behinderten, die trotz schwerster Beeinträchtigungen mit minimalem Kraftaufwand und maximaler technischer Unterstützung in die Lage versetzt werden, ein Fahrzeug zu bewegen. „Plötzlich können diese Menschen für sich entscheiden, wann sie wohin fahren“, sagt er, „was für ein Gewinn an Freiheit!“ Der Motorsportler fügt hinzu: „Dabei dachten wir Racer, für uns ist das Auto ganz besonders wichtig.“

Vor 23 Jahren wurde der Journalist zum Mercedes-Direktor für den Motorsport gekürt. Er brachte den Konzern nach vier Jahrzehnten wieder in die Formel 1; und die DTM (Deutsche Tourenwagen-Meisterschaft) zurück auf die Rennstrecke. „Mr. Motorsport“ sorgte mit vollem Einsatz dafür, dass dies nicht nur für einige Jahre, sondern eher für Jahrzehnte so blieb. Seine Fernsehpräsenz schlug die jedes Daimler-Vorstands bei Weitem. „Von 968 bestrittenen Rennen wurden 439 gewonnen.“ Der auch im Fach Statistik stets starke Ex-Chef von Fahrern wie Mika Häkkinen, Michael Schumacher oder Nico Rosberg braucht nicht nachzuschlagen, um seine Erfolgsgeschichte in Zahlen darzulegen. Einen Preis musste er bezahlen: 35 Wochenenden jedes Jahr an Rennstrecken in aller Welt. Unter der Woche Büroarbeit in Fellbach. „Du musst dich so einem Job komplett verschreiben“, sagt er. Aber das sei schon okay so. Vor einem Jahr trennten sich Daimler und Haug. Wenn es Dissonanzen gab, sie bleiben verborgen. Haug ist mit dem Abschied im Reinen. „Klar interessiert mich das Thema Motorsport noch immer, alles andere wäre ja schlimm nach all den Jahren.“ Er referiert kurz über die viel zu hohen Kosten der Formel 1, die kleine Teams in Existenznöte bringen. Geht es für ihn irgendwann zurück ins Fahrerlager? „Man soll nie nie sagen“, er spricht da ohne Feuer in der Stimme. Nur irgendwer an der Rennstrecke will er bestimmt nicht sein.

Jetzt sei Zeit für etwas Neues. So sieht er sein Leben und sein Engagement für Paravan. „Das ist auf Jahre ausgelegt.“ Bei im Schnitt drei Arbeitstagen pro Woche in Aichelau bleibt noch Zeit fürs Fitnesstraining für die kommende Skisaison – und so entlässt er den Besucher mit einem typischen Haug-Satz zum neuen Job: „Spät bremsen und früh Gas geben kann man nicht nur auf der Rennstrecke, sondern auch hier auf der Alb.“ Norbert Haug macht wieder, was er am liebsten tut: er bringt vollen Einsatz.