Ute Vilsmeier-Natorp hat viel von der Welt gesehen. Die Vielfalt verstärkt ihr Lebensthema nur. Die großen Themen kommen bei ihr ernst und doch leichtfüßig daher.

Ditzingen - Erst Sao Paolo, dann Ditzingen, genauer: Hirschlanden. Der mehrjährige Aufenthalt in Brasilien in den 70er-Jahren ließ Ute Vilsmeier-Natorp freier werden, auch offener. Gleichzeitig schärfte diese Zeit ihren Blick für das Hier und Heute. „Die Probleme sind in Brasilien offensichtlich: Armut, Hunger, die Bettler. Hier gibt es auch Probleme, aber sie sind subtiler“, sagt die Künstlerin. In ihren Bildern nimmt sie Bezug darauf: In feinen, leichten, bisweilen fast transparenten Strukturen bekommt das Thema Gestalt. Mobbing etwa: Einer allein liegt am Boden, die Masse bedrohlich über ihm. Schwermütig wirken die Bilder – allesamt Öl auf Papier – aber nicht, wie man angesichts des ernsten Themas vermuten könnte. Manchmal ist es die kräftige Farbgebung, die einen Kontrapunkt setzt, mal ist es die Bewegung der tänzelnden, manchmal auch eher schwebenden Figuren.

 

Lessing im Zentrum

Von Sonntag an sind Vilsmeier-Natorps Arbeiten in Ditzingen zu sehen. „Wir weben das Kleid, uns webt die Zeit“ – diesen Spruch von Gothold Ephraim Lessing entdeckte die Künstlerin an einem Fachwerkhaus in Schwäbisch Hall. In vielen Arbeiten blieb er das Thema. Er verwebte sich mit der großen Frage nach dem Kommen und Gehen der Menschen auf und von dieser Welt. „Man kann von den Menschen lernen“, sagt sie über die Brasilianer. Sie könnten sich so wunderbar freuen, seien spielerisch, würden von heute auf morgen denken. Nicht, dass sie diese Einstellung uneingeschränkt in ihr Leben integrieren wollte – doch freier und offener als Deutschland habe sie Brasilien erlebt.

Heute ist Vilsmeier-Natorp 83. In Stuttgart wurde sie groß, später ging sie mit ihrem Mann in die Welt hinaus. Sie hat sich viel davon bewahrt, auch wenn sie gerade erst schwere Zeiten durchgemacht hat. Doch es geht weiter, immer weiter – bis es irgendwann zu Ende ist. Für das Individuum auf jeden Fall, vielleicht aber auch für die gesamte Menschheit. Wer weiß das schon. Ein wenig Skepsis ist aus Vilsmeier-Natorps Worten schon zu hören. Und doch ist sie wie ihre Figuren, schwebend, leichtfüßig, auch in der Nachdenklichkeit.

Irgendwann ist es zu Ende

Ohne Absicherung sind ihre Figuren im Bild platziert. Dem Absturz ebenso nah wie dem Aufstreben. Eingewoben in ein feines Netz. Das Netz gibt auch der Künstlerin den Rahmen vor. Die Beschränkung fördere die Kreativität, macht Vilsmeier-Natorp deutlich: Neue Wege finden, neue Formen, auch hier gilt: Es geht immer weiter. Oder doch nicht? „Einer zieht das Thema weg“, lautet der Titel eines Bildes. Da ist die Künstlerin realistisch: Alles hat ein Ende, irgendwann. Und macht Platz für Neues.