Früher nannte man sie Travestiekünstler, heute heißen als schrille Frauen verkleidete Männer Dragqueens. Nach „Germanys’s next Topmodel“ hat Heidi Klum eine neue Castingshow geschaffen. Das gefällt vielen nicht.

Stuttgart - Mit Anfeindungen kennt sich Moderatorin und Modelmacherin Heidi Klum aus. Nicht erst, seit die 46-Jährige öffentlichkeitswirksam mit dem 16 Jahre jüngeren Musiker Tom Kaulitz liiert ist, erntet sie Kritik an ihrer Person, ihrer Arbeit und ihrem Auftreten. So wird ihr zum Beispiel vorgeworfen, in der Sendung „Germany’s Next Topmodel“ Frauen als Ware zur Schau zu stellen und ein reaktionäres Frauenbild zu transportieren. Nun stellt Heidi Klum erneut Menschen zur Schau und erntet dafür viele Vorwürfe.

 

Dieses Mal geht es um als Frauen verkleidete Männer. „Queen of Drags“ heißt die Pro-Sieben-Sendung, in der die angeblich zehn besten deutschen Dragqueens – früher nannte man das Travestiekünstler – gegeneinander antreten. In den üblichen Kategorien wie Beste Performance, Ausgefallenstes Kostüm oder Stärkste Ausstrahlung wollen die Paradiesvögel Candy Crash, Bambi Mercury, Vava Vilde und Co. die Jury von sich überzeugen. Am Ende kann nur eine beziehungsweise einer „Germany’s next Dragqueen“ werden. Die Sendung unterscheidet sich konzeptionell nur unwesentlich von Klums Modelzirkus.

Letztlich ist es eine kunterbunte Parade der eitlen Gockel mit vielen grellbunten Perücken, krass verzierten Fingernägeln, falschen Wimpern, maximal hohen Stöckelschuhen, fantasievollen Kostümen und vielen trainierten Körpern. Wer Glitzer, Glamour und Showtime gerne hat, wird sich von den Dragqueens gut unterhalten fühlen. Den inszenierten Zickenkrieg muss man allerdings auch ertragen.

Bill Kaulitz verteidigt öffentlich seine Schwägerin Heidi Klum

Die Ankündigung des Senders Pro Sieben, eine Art deutsche Version der US-Sendung „RuPaul’s Drag Race“ zu produzieren – und zwar mit den Juroren Heidi Klum, Sängerin und Dragqueen Conchita Wurst alias Tom Neuwirth sowie Bill Kaulitz, Tokio-Hotel-Sänger und Schwager von Heidi Klum –, hat die Szene gespalten. Die Berliner Dragqueens Margot Schlönzke und Ryan Stecken haben im Frühsommer sogar eine Petition mit dem Titel „Kein Foto für Heidi“ gestartet. „Heidi Klum hat von Drag, der dazugehörigen Historie, der Lebenseinstellung, der Identität, der Dragkultur, der Szene und der gesamten Branche absolut keine Ahnung“, ließen Schlönzke und Stecken wissen. Zwar sei es zu begrüßen, dass es ein derartiges Format ins deutsche Fernsehen schaffe. Allerdings sei mit Klum der „Ausverkauf der Drag-Community an ein heteronormatives Publikum zu dessen bloßer Belustigung“ zu befürchten.

Irritiert von dieser Kritik zeigten sich die Juroren Kaulitz und Neuwirth. „Die Leute wollen ja Gleichberechtigung und Toleranz, und genauso viel Toleranz hätte ich auch erwartet“, sagte Bill Kaulitz. Auch die bekannte Dragqueen Olivia Jones hat nur Positives übrig – was unter anderem daran liegt, dass sie als Gastjurorin auftritt: „Damit bekommen Dragqueens in Deutschland erstmals bei einem großen deutschen TV-Sender eine eigene Primetime-Show. Dafür haben viele jahrelang vergeblich gekämpft. Den Durchbruch hat am Ende Heidi Klum gebracht.“

Redlich bemüht man sich nun auch, die Themen Toleranz, Vielfalt und Offenheit wohldosiert einzustreuen. In der ersten Folge solidarisiert sich Heidi Klum plakativ mit den Dragqueens und erzählt von den Anfeindungen, die ihr entgegenschlagen: „Zu mir sagen die Leute immer, ich sei zu alt für meinen Mann. Das ist auch Shaming.“ Shaming meint das öffentliche Bloßstellen einer Person. Überhaupt wird viel gefordert – „Don’t hate, celebrate“ („Hasse nicht, feiere“) – und gemahnt: „Drag ist auch gesellschaftskritisch.“ Dabei kann man das bunte Bohei auf einen recht unspektakulären Nenner herunterbrechen, den Kandidat Bambi Mercury so formuliert: „Wir sind Menschen wie du und ich, nur mit etwas mehr Make-up“.

Was steckt hinter der Dragkunst?

Drag bezeichnet das Spiel mit Geschlechterrollen. Eine Dragqueen ist ein Mann, der sich als Frau verkleidet, dabei aber nicht homosexuell sein muss. Die Grenzen sind fließend, die Rollen der Künstler sind nicht zwingend auf ein Geschlecht festgelegt. „Drag“ steht vermutlich als Abkürzung für „dressed as a girl“ (Wie ein Mädchen angezogen). Der Begriff Queer bezeichnet die Abweichung von der Norm und wurde oft als Schimpfwort im englischsprachigen Raum genutzt, bis sich Menschen, die nicht heterosexuell sind, den Begriff zu eigen gemacht haben. Sechs Folgen lang treten bei der Sendung „Queen of Drags“ zehn Kandidaten gegeneinander an. Donnerstag, 20.15 Uhr, Pro Sieben.