Die US-amerikanischen Alternativerockbands Dirty Projectors und Algiers legen an diesem Freitag neue Alben vor. Sehr hörenswert sind sie beide.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Rund um die Jahrtausendwende wurde Dave Longstreth das rare Vergnügen zuteil, an der amerikanischen Top-Elite-Universität Yale ein Musikstudium beginnen zu dürfen. Schon im zweiten Studienjahr, so erzählt er, verließ er sein Zimmer nur noch selten, weil er „komplett vom Musikmachen aufgesogen war, obwohl es eigentlich niemanden gab, für den ich sie spielen konnte“. Seine Musik ist angesichts ihres relativ kompromisslosen avantgardistischen Anspruchs noch immer kein Thema für die breiten Massen, aber nachdem er seinerzeit sein Debütalbum „The graceful fallen Mango“ veröffentlicht hatte, hatte er dann auch sein Studium in Yale wieder aufgenommen und es letztlich auch erfolgreich abgeschlossen.

 

Doppelt genäht hält besser

Zu dieser Konsequenz passt, dass seine New Yorker Band Dirty Projectors vor zwei Jahren ihr Album „Lamp lit Prose“ veröffentlichte, das zu einem, wenn nicht sogar dem herausragendsten Avantgarde-Alternativepopalbum des Jahres 2018 werden sollte. Die Truppe ging mit diesem Album dann auf Tournee, anschließend hatte Longstreth jedoch den Eindruck, auch dieses Ding noch richtig zu Ende bringen zu wollen. Und so haben die Dirty Projectors jetzt noch einmal einige ihrer bereits bekannten Songs eingespielt, in verfeinerten, verbesserten und veränderten Fassungen und auch im Lichte der Erfahrungen aus dem Livevorspielen. Ein nicht gänzlich neuer, aber auf jeden Fall erfrischender Ansatz, allein schon weil er vom Bewusstsein der Fehlbarkeit sowie dem Willen zum Bestmöglichen kündet.

Und so klingt das „neue“ Album „Sing the Melody“ denn auch. Keinesfalls verkopft (angesichts etwa des Dirty-Projectors-Albums „Mount Wittenberg Orca“ mit Björk sei dies hier erwähnt), sondern mit jenem Kreuzüber aus Songwriter-Indierock und Prince-Soundalike-Contest, den man vielleicht am ehesten als Alternative-R’n’B bezeichnen könnte. Mit dabei ist der von Dave Longstreth mitgeschriebene Song „Four Five Seconds“ von Kanye West, Rihanna und Paul McCartney, mit dabei ist „Knotty Pine“, Longstreth’ Kollaboration mit David Byrne – und wenn nicht allein dieses vielfältige Namedropping überzeugen würde, wären es spätestens die tollen (Neu-)Arrangements, die wunderbare Instrumentierung und die fein austarierten männlichen und weiblichen Gesangsstimmen.

Algiers mögen es unlustig

Weit entfernt vom Frohsinn eines trotz allem Anspruch dennoch heiteren Musizierens der Dirty Projectors sind ihre Landsleute und Kollegen von der Band Algiers. Deren ebenfalls an diesem Freitag erscheinendes neues und drittes Album „There is no Year“ trägt die Melancholie bereits im Titel, und entsprechend fallen auch die dystopischen Texte der zehn neuen Songs aus. Musikalisch fühlt man sich wie bei ihnen gewohnt an eine heruntergebremste Variante der Nine Inch Nails oder Ministry erinnert mit einem Gruß aus der brodelnden Synthieküche à la frühe Depeche Mode.

Versehen mit einem trockenen Elektroschlagzeug, milden Keyboardmelodien und dem kehligen, oft etwas bellenden Gesang Franklin James Fishers kommt allerdings ein vielschichtig-origineller, ausdifferenzierter Klang heraus, der sowohl ruhigen Stücken (etwa „Losing is ours“) wie auch nervös pulsierenden, aber dennoch nicht allzu schnellen Nummern zu enormer Güte verhilft. Zwei feine frühe Vorboten eines hoffentlich auch am Ende glänzenden Schallplattenjahrgangs.