Die Region streitet darüber, wie sehr Konsumtempel wie Milaneo und Gerber bestehende Standorte um Stuttgart herum gefährden. Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger spricht von „Kannibalisierung“.

Stuttgart - Der im September im Amt bestätigte Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger sitzt nicht nur für die SPD in der Regionalversammlung, sondern gilt auch als ein Vertreter der Fraktion „Klare Ansage“. Nach der Eröffnung des Einkaufszentrums Milaneo im Oktober sprach Zieger von einer „Kannibalisierung der Einzelhandelstandorte in der Region“ und von einer „offenen Feldschlacht im Handel“. Das Milaneo, so Ziegers Verdikt aus dem reichsstädtischen Rathaus am Neckar in Richtung Residenz am Nesenbach, „schadet dem Einzelhandel der Stadt Stuttgart, aber auch der Region“.

 

Mit seiner „ernsten Sorge“ steht Zieger nicht allein. Wenig später formulierten die Freien Wähler und die FDP in der Regionalversammlung Anträge, die Ziegers Argumentation in diplomatischeren Worten aufnahmen. Sie wurden am Mittwoch im regionalen Planungsausschuss behandelt. Zwar stimmten am Ende alle Fraktionen dem Vorgehen der Region zu, in den innerstädtischen Lagen im Oberzentrum Stuttgart und in den 14 Mittelzentren von Herrenberg bis Backnang und von Geislingen bis Besigheim die Ansiedlung von dem Standort angemessenen Einkaufszentren zuzulassen und nur bei Arealen auf der grünen Wiese restriktiv einzugreifen, um die Innenstädte zu schützen. Doch die Zweifel bestehen weiter. „Der Flächenzuwachs in Stuttgart wird nicht ohne Folgen bleiben für die Region“, sagte Reiner Ruf, Regionalrat der Freien Wähler. „Die neuen Verkaufsflächen im großen Stil gefährden die Balance in der Nahversorgung“, schrieb die Faktion in ihrem Antrag, zu dessen Unterzeichnern der Waiblinger Oberbürgermeister Andreas Hesky und Wilfried Wallbrecht gehören, Erster Bürgermeister in Esslingen. Sie befürchten, dass neue Einkaufszentren – neben dem Milaneo vor allem das Gerber in Stuttgart und die Mercaden in Böblingen – sich so viel vom Einzelhandelsumsatz sichern, dass es zu „Verkaufsflächeneliminierungen in der Fläche kommen muss und damit die verbrauchernahe Versorgung weiter gefährdet wird“.

Auch die FDP beklagt, dass „massiv in den Wettbewerb“ eingegriffen werde. Ihr Fraktionschef Kai Buschmann monierte, dass das Milaneo 70 Prozent seines Umsatzes aus der nahen und fernen Region hole. „Das lässt die Region zu, in anderen Städten gibt es Restriktionen wegen einer solch großen Fläche“, monierte Buschmann, der ein regionales Einzelhandelskonzept forderte. Thomas Kiwitt, regionaler Planungschef, entgegnete, dass die Region ein Interesse an einer guten Entwicklung des Oberzentrums haben müsse, weil sich nur dort Flagship-Stores ansiedelten. „Wir stellen Spielregeln auf, die dies berücksichtigen“.

Milaneo und Gerber ziehen jährlich 350 Millionen Euro ab

Verglichen mit Ziegers Worten und den Befürchtungen von Freien Wählern und FDP nimmt sich die Position des Verband Region Stuttgart also eher beschwichtigend aus. Zwar beziffern Experten den Umsatz der beiden Stuttgarter Einkaufszentren Milaneo (43 000 Quadratmeter) und Gerber (23 000 Quadratmeter) auf 350 Millionen Euro jährlich. Der dritte aktuelle Neubau, das Mercaden in Böblingen, weist 24 400 Quadratmeter auf. Zumindest das Böblinger Zentrum, das einen Jahresumsatz von 88 Millionen anstrebt, und das Gerber würden aber nur wenig Kaufkraft von außerhalb abziehen, meint die Region. Damit würden die Vorgaben des Regionalplans eingehalten. Das gelte auch für das Milaneo (Jahresumsatz: mehr als 200 Millionen Euro), weil es im Stuttgarter Innenstadtbereich liege. „Zu welchen Verdrängungen es dort kommt, ist Sache der Stadt. Das geht uns als Region nichts an“, sagte Kiwitt. Aus dem regionalen Blickwinkel sei das „standortneutral“, wie der Planungsdirektor der Region meinte.

Die Region unterstütze auch, wenn in den Mittelstädten weitere Einkaufszentren entstehen – etwa die bereits realisierten Murrarkaden in Murrhardt (Rems-Murr-Kreis), das sanierte Marstall-Center in Ludwigsburg oder das Fachmarktzentrum Bauhof in Ditzingen (Kreis Ludwigsburg), das Einkaufszentrum Bleichstraße in Göppingen und das Areal Seeländer in Herrenberg (Kreis Böblingen). Allerdings spricht sich die Region auch weiter gegen eine Erweiterung des Breuningerlands in Sindelfingen aus, in dem es eine Konkurrenz zum innerstädtischen Handel sieht. Zwar genießt das Einkaufszentrum an der A 81 Bestandsschutz, die Ausbaupläne beschäftigen das Verwaltungsgericht – ein Termin für die Verhandlung steht aber noch nicht fest.

Mehr Kommunen mit funktionierender Grundversorgung

Den Vorwurf, die restriktive Genehmigung der Region für Supermärkte in kleinen Orten gefährde mit den neuen Einkaufszentren die Grundversorgung in Gemeinden, weist Kiwitt zurück. Inzwischen würden größere Märkte der Lebensmittelfilialisten ermöglicht, wenn sie die Grundversorgung sicherten und die der Nachbarkommune nicht stark beeinträchtigten. Darin sieht er sich auch durch Zahlen bestätigt: 2006 hatten 36 der 179 Kommunen der Region keine funktionierende Grundversorgung, nun sind es nur noch 24.