Die schärferen EU-Grenzwerte sind eine große Herausforderung für die Autoindustrie. Sie ist selbst nicht schuldlos an ihrer Lage, meint Harry Pretzlaff.

Stuttgart - Die Reaktionen auf die bis 2030 vereinbarten schärferen Kohlendioxid-Grenzwerte für Autos in Europa könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Autoindustrie zeigt sich entsetzt, den Umweltschützern geht die Drosselung dagegen nicht weit genug. Spricht die Unzufriedenheit beider Seiten für einen guten Kompromiss? Dieses Mal trifft diese Regel nicht zu. Es gibt bei dieser Entscheidung keine Balance zwischen Ökologie und Ökonomie. Der Klimaschutz soll auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden – ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Risiken für die Unternehmen.

 

Die Autobranche hat die Rückendeckung der Bundesregierung verloren

Auch in der Vergangenheit sind die Autobauer immer wieder gegen schärfere Grenzwerte Sturm gelaufen. Früher hatten vor allem die deutschen Lobbyisten dabei allerdings mehr politische Unterstützung als heute. Denn die Bundesregierung hatte dafür gesorgt, dass die Interessen der Industrie in Brüssel stärker berücksichtigt wurden und geplante Verschärfungen in letzter Minute abgeschwächt wurden. Der Abgasskandal hat jedoch dazu geführt, dass die Autobranche die Rückendeckung verloren hat und die Umweltschützer sich im Verhandlungspoker besser durchsetzen können. Dazu mag auch beigetragen haben, dass es bisher viel zu geringe Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel gibt und gerade im Straßenverkehr heute nicht weniger, sondern mehr Kohlendioxid in die Luft geblasen wird als noch vor einigen Jahren. Jetzt rächt sich auch, dass die Autobranche stets als Bremser aufgetreten ist und nur mit politischem Druck zur Einführung von Öko-Innovationen wie etwa dem Katalysator zu bewegen war.

Die Grenzwerte müssen auch auf der Straße eingehalten werden

Die jetzt beschlossene Verschärfung der Grenzwerte bedeutet eine gewaltige Herausforderung für die Autoindustrie. In nur knapp zwei Modellgenerationen soll der Ausstoß von Kohlendioxid drastisch gesenkt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Werte nicht nur auf dem Prüfstand, sondern im Alltagsverkehr auf der Straße erreicht werden müssen. Dies ist ein Nebeneffekt des Abgasskandals, der dazu geführt hat, dass die Kungelei zwischen Politik und Industrie beendet wurde, geschönte Labormessungen zu recht abgeschafft wurden. Darüber hinaus tragen auch die Abkehr der Autokäufer vom Diesel, der weniger Kohlendioxid ausstößt als ein Benziner, sowie der Trend zu spritschluckenden Geländewagen dazu bei, dass es für die Industrie schwerer wird, schärfere Grenzwerte einzuhalten.

Um die härteren Vorgaben für das Treibhausgas Kohlendioxid zu schaffen, müssen die Autobauer viel mehr Elektroautos verkaufen. Das Klima wird allerdings nur dann wirklich davon profitieren, wenn die Wagen mit Ökostrom unterwegs sind. Bisher sind alternative Antriebe immer noch eine Randerscheinung. Bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts soll das Angebot allerdings kräftig ausgeweitet werden. Zudem soll die Reichweite der Batterien kräftig zunehmen.

Dieser geplante Vorstoß bietet den Unternehmen die Chance, eine Spitzenposition in einer Zukunftstechnik zu erobern. Doch er bleibt auch ein Wagnis, weil niemand weiß, ob die Absatzpläne wirklich in die Realität umgesetzt werden können. Je rascher der Durchbruch der E-Mobilität erfolgt, desto größere Abstriche müssen die Autobauer bei den Gewinnen machen, weil die Produktionskosten bei Stromern höher sind als bei Verbrennern. Die Preise der E-Autos müssen jedoch knapp kalkuliert werden, damit diese attraktiv sind auch gekauft werden. Und je rascher die E-Mobilität umgesetzt wird, desto schwieriger wird es auch, die Belegschaften flexibel an die Produktion der Stromer anzupassen – denn diese erfordert weniger Arbeit. Mit den neuen schärferen EU-Grenzwerten nimmt der Druck auf die Branche deshalb zu, hier noch schneller voranzukommen. Auf die Autobauer kommen harte Zeiten zu.