Nach jahrelangen Debatten schafft die Stadt Ludwigsburg Platz für eine Fahrradstraße. Dafür tut sie etwas, was bisher undenkbar erschien.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Da dürfte selbst der Bürgermeister Michael Ilk gestaunt haben: Im Februar noch wollte er seinen Mitarbeiter bremsen, als dieser zusagte, bis Mai ein Konzept für Radfahrer in der Seestraße zu präsentieren. Allzu ambitioniert erschien Ilk das Unterfangen. Und nun, da der Mai da ist, ist tatsächlich auch das Konzept da. Von einem Wunder im Dezernat, das unter anderem für Mobilität zuständig ist, kann allerdings nicht gesprochen werden. Denn das Problem gibt es schon viel, viel länger als drei Monate. Man könnte auch sagen: viel zu lange.

 

Ständige Gefahrenlage

Das Problem ist, dass die Seestraße in ihrem südlichen Bereich, also zwischen Friedrichstraße und Karlstraße, viel zu eng ist für die vielen Nutzer dort. Was die Sache auch gefährlich macht: Radler müssen regelmäßig auf den (schmalen) Gehweg ausweichen, um eine Kollision mit entgegenkommenden Autos zu vermeiden. Auf dem Gehweg droht dann wiederum eine Kollision mit Fußgängern. Fahrradfahrer sind auf dem fraglichen Abschnitt viele unterwegs. Die Strecke ist die wichtigste Zufahrtsachse für den Schulcampus von der und in die Südstadt.

Erste Überlegungen für eine Fahrradstraße dort gab es bereits anno 1996, der letzte Antrag der Grünen dazu ist inzwischen schon wieder vier Jahre alt. Vor diesem Hintergrund erscheint die nun präsentierte Lösung verblüffend einfach: die 14 Stellplätze, die in dem Abschnitt ausgewiesen sind, werden abgeschafft. Dadurch stehen in der Breite zwei Meter mehr Fahrbahn zur Verfügung und die bekannten Konflikte würden sich auflösen.

Schüler haben Vorfahrt

Zu diesem Ergebnis kam die Stadtverwaltung nach „intensiven“ Prüfungen, zu der mehrere Vor-Ort-Termine zählten. Sogar der OB Matthias Knecht persönlich hat das Problem in Augenschein genommen. Und in der „Gesamtabwägung“ hat die „Sicherheit von Hunderten Schülern“ gegenüber „Einzelinteressen für 14 Stellplätze“ nun die besseren Karten.

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Zumal es für die Nutzer dieser Stellplätze Alternativen gibt: entlang der Leonberger Straße und am Karlsplatz sowie mittelfristig in der neuen Tiefgarage, die zurzeit auf dem Kallenbergschen Gelände beim Zentralen Omnibusbahnhof entsteht. Der längere Fußweg von und zum Auto zwischen 100 und 300 Meter, der nach Berechnungen der Verwaltung so entsteht, bleibe „komfortabel“. Außerdem haben ihre Recherchen ergeben, dass die nämlichen Stellplätze auch von Anwohnern beparkt werden, die durchaus einen privaten Stellplatz haben, diesen aber nicht nutzen. Und dass es in dem gesamten Gebiet mehr Stellplätze als Autos gibt.

Ein Brief für die Betroffenen

Ähnlich leicht würde sich der Konflikt nur lösen lassen, wenn die Radler auf dem Weg in Richtung Innenstadt künftig nicht mehr die Seestraße passieren dürften. So ließe sich das Kollisionsrisiko mit dem motorisierten Individualverkehr eliminieren. Das entsteht nämlich erst dadurch, dass die Straße für Autos eine Einbahnstraße ist, Radler sie allerdings in beide Richtungen nutzen dürfen. Diese Alternative jedoch ist tabu, da sie „erhebliche Umwege“ für den Schülerverkehr zur Folge hätte und die geplante Stärkung des Radverkehrs konterkarieren würde.

Dass die Grünen von der Lösung mit dem Verzicht auf die Parkplätze angetan sein würden, war absehbar: Sie kämpfen seit nunmehr 24 Jahren für eine sichere Route. Die Begeisterung der anderen Fraktionen hingegen dürfte in dem Ausmaß Bürgermeister Ilk überrascht haben: „Sie entlocken allen Fraktionsmitgliedern ein Lächeln“, sagte der Freie Wähler Andreas Rothacker, dessen Worte auch für CDU, SPD, FDP und Linke gültig waren.

Fehlen nur noch die Anwohner. Eine Bürgerbeteiligung war wegen Corona nicht möglich. Nun soll die Information per Brief erfolgen. Für die Bäckerei in der Seestraße soll eine Ladezone für Lieferverkehr eingerichtet werden. Und im September haben die Radler dann freie Fahrt.