Zwei Jahre lang hat die Commerzbank in Berlin und Stuttgart ihre neuen Vorzeigefilialen getestet. Nun sollen bundesweit 65 bis 100 dieser Rundum-Beratungscenter entstehen. In gediegener Atmosphäre wird darin knallharte Akquise betrieben.

Stuttgart - Die Zukunft der Commerzbank ist am Schlossplatz in Stuttgart oder auf dem Ku’damm in Berlin zu besichtigen. In den beiden Flagships, wie die Vorzeige-Filialen intern genannt werden, hat Deutschlands zweitgrößte Bank in den vergangenen zwei Jahren ausprobiert, was die Kunden demnächst bundesweit in 65 bis 100 Städten erwarten soll. Der Stuttgarter Niederlassungsleiter Mario Peric spricht nicht von Kunden, sondern von Gästen. Damit die sich angemessen umsorgt fühlen, hat sich die Bank bei der Hamburger Steakhaus-Kette Block House und bei der Lufthansa Service Nachhilfe geben lassen und ihre rund hundert Mitarbeiter vom Stuttgarter Standort in insgesamt 4000 Schulungsstunden geschickt. „Es ist ein schmaler Grat, nicht aufgesetzt oder aufdringlich zu sein, aber zu versuchen, die Menschen auf angenehme Weise und kompetent anzusprechen“, erklärt Peric beim Ortstermin in Stuttgart.

 

Der Niederlassungsleiter und sein Vorgesetzter, Werner Braun, Bereichsvorstand Süddeutschland, präsentieren die Neuerungen, die nach der zweijährigen Pilotphase nun bundesweit Einzug halten sollen, bei einem kurzen Rundgang durchs Haus. Rund eine Million Euro soll sich die Bank die Umgestaltung pro Filiale kosten lassen. An eine traditionelle Bankfiliale erinnern tatsächlich nur noch die Kassenschalter: Zwischen Kaffeetheke mit WLAN, gepolsterten Sitzecken und Großbildleinwand breitet sich Lounge-Atmosphäre aus. Während der Fußball-EM seien Spiele gezeigt worden, erzählt Peric. Die Besucher hätten es sich mit Chipstüten auf den Sofas bequem gemacht.

An Terminals können sich Interessierte multimedial über Bausparen, Girokonten oder Immobilien vorinformieren. Ein Knopfdruck genügt, und der Mitarbeiter eilt herbei und bittet zum persönlichen Gespräch in die „Beratungsinsel“. Berater sind von 9 bis 19 Uhr im Haus. In der zweijährigen Pilotphase habe die Filiale 3800 Stunden länger offen gehabt als vergleichbare Banken in Baden-Württemberg.

Die Kunden werden am Geldautomaten angesprochen

Die wohl ungewöhnlichste Veränderung ist nicht auf den ersten Blick sichtbar. Es ist das direkte Aufeinandertreffen zwischen Gast und Berater an einem Ort, an dem jahrzehntelang Diskretion das oberste Gebot war: direkt an den Selbstbedienungsautomaten, die nun quer durch die halbe Filiale verteilt sind. Mitarbeiter sollen die Kunden nach dem Geldabheben oder Drucken der Kontoauszüge freundlich ansprechen, um sie von den Vorzügen des Geldhauses zu überzeugen. Etwa jede dritte Person, die in die Filiale kommt, ist ein Fremdkunde. Eine typische Frage lautet dann: „Gehören Sie zu den 64 Prozent der Stuttgarter Bürger, die noch Kontoführungsgebühren zahlen?“ Das Girokonto bei der Commerzbank ist nicht nur gebührenfrei, bei Eröffnung bekommt der Kunde auch einen Begrüßungsbonus – die Bank verschenkt Geld. Anfangs habe man 1000 solcher direkten Kundenansprachen pro Woche als Ziel ausgegeben. Mittlerweile seien es eher 1500, so der Niederlassungsleiter. Nach Perics Worten fühlen sich 97 Prozent der Befragten von dererlei An- oder besser Abwerbeversuchen weder abgeschreckt noch genervt.

Die Führung des Kreditinstituts ist vom Erfolg der Veränderungen überzeugt. Der Privatkundenbereich ist derzeit das erfolgreichste Standbein der Bank, die in der Krise mit Staatsgeldern gerettet werden musste, und bei der der Bund als größter Einzelaktionär noch gut 15 Prozent der Aktien hält. Während der Gewinn und die Kapitalrendite zuletzt deutlich zurückgingen und auch der Aktienkurs mit weniger als sechs Euro auf dem tiefsten Stand seit Sommer 2013 gefallen ist, konnte die Commerzbank in diesem Jahr bereits fast eine Million Kunden (netto) hinzugewinnen. Allein die Zahl sagt noch nichts über die Profitabilität aus, die Neukunden könnten auch die „Eröffnungsprämie“ einstreichen und kurze Zeit später wieder weg sein. Lukrativ ist vor allem das Zusatzgeschäft mit Bausparverträgen, anderen Anlageprodukten oder Versicherungen, das mit den neuen Kunden winkt.

Der Wind in der Branche ist rau, sie hat sich kaum vom Crash 2008 erholt und ächzt nun unter den Negativzinsen. Mit einer Wende in der Zinspolitik der EZB rechnen die Chefvolkswirte derzeit nicht vor 2019. Gerade hat der große Konkurrent Deutsche Bank die Schließung von 188 Filialen angekündigt, zwölf davon in Baden-Württemberg, knapp 3000 Stellen werden abgebaut. Die LBBW-Tochter BW-Bank schließt bis 2020 etwa 40 ihrer 168 Filialen. Selbst Genossenschaftsinstitute und Sparkassen ziehen sich aus der Fläche zurück, schließen kleine Filialen und bauen das Onlineangebot aus. Direktbanken und Finanzdienstleister (Fintechs) ohne Filialnetze versuchen den klassischen Kreditinstituten Kunden abzujagen.

Die neuen City-Filialen werden im nächsten Schritt getestet

Auch bei der Commerzbank geht Medienberichten zufolge die Angst vor neuen Sparprogrammen und Jobabbau um. Die Zahl der Filialen ist in den vergangenen viereinhalb Jahren eher moderat gesunken, von rund 1200 Ende 2011 auf 1050; die Zahl der Mitarbeiter von 58 000 auf 51 000. Bereits nach der Übernahme der Dresdner Bank im Frühjahr 2009 wurde eine dreistellige Zahl von Doppelstandorten geschlossen.

Wie viele Standorte neben den Flagship-Filialen langfristig erhalten bleiben, hat der neue Privatkundenvorstand Michael Mandel bisher offen gelassen. Fest steht nur, dass es neben den Vorzeigehäusern, in denen alle Bankangelegenheiten erledigt werden können, weiterhin klassische Filialen und Beratungsfilialen (ohne Kasse) sowie künftig auch sogenannte Cityfilialen 2.0 geben soll, die ein abgespecktes Angebot anbieten. Es soll dem Onlineangebot entsprechen – aber auch persönliche Beratung bieten. Diese wird nach Werner Braun ihre Funktion nicht verlieren: „In wichtigen Phasen des Lebens braucht jeder Mensch individuelle Beratung in finanziellen Fragen“, sagt der Manager.

Der größte Teil der Kunden, etwa 70 Prozent, wollten Onlinebanking und Filialen; schnell und unkompliziert per Smartphone Überweisungen erledigen und den Kontostand abfragen, sich aber auch von einem echten Menschen in der Filiale beraten lassen. Braun ist daher zuversichtlich: „Wenn ich mit einem Geschäftsmodell wachse, schließe ich doch keine Filiale“, sagt der Bereichsleiter Süddeutschland.