Die Amerikaner diskutieren über den angemessenen Umgang mit der Vergangenheit des Landes. Anlass sind zwei neue Filme: „Lincoln“ und „Django Unchained“ von Steven Spielberg und Quentin Tarantino.

New York - Kirchen der verschiedenen protestantischen Glaubensrichtungen in den USA pflegen das neue Jahr erst am 1. Januar mit einem Gottesdienst zu begrüßen. Eine Ausnahme bilden allerdings die schwarzen Kirchen. Die Tradition des Mitternachtsgottesdienstes an Silvester in der schwarzen Kirche geht auf den Jahreswechsel 1863 zurück, als man in den afro-amerikanischen, meist baptistischen Gemeinden des Landes zusammenkam, um das Ende der Sklaverei zu feiern. Watch-Night Services heißen diese Gottesdienste, und es sind bewegende Feiern. Wer einmal dabei war, bekommt einen Eindruck, wie tief das Trauma der Sklaverei bei der schwarzen Bevölkerung der Vereinigten Staaten noch immer sitzt.

 

Viele weiße Amerikaner nehmen von diesen Gottesdiensten gewöhnlich kaum Notiz. Die meisten kennen diese Tradition gar nicht. In diesem Jahr genossen die Mitternachtsfeiern in Harlem und Atlanta und auf der South Side von Chicago jedoch ungewohnt große Medienaufmerksamkeit. Das lag sicher daran, dass Amerika den 150. Jahrestag der Sklavenbefreiung feierte. Es könnte aber auch daran liegen, dass Amerika sich derzeit mit neuer Intensität mit seiner Vergangenheit als Sklavenhalternation beschäftigt.

Schuld daran sind zwei Filme, die punktgenau zur Wiederwahl des ersten schwarzen US-Präsidenten in den amerikanischen Kinos anliefen. Da ist einmal das Geschichtsdrama „Lincoln“ von Steven Spielberg, das sich auf die Wochen vor dem Ende des Bürgerkriegs und den Kampf um die Verabschiedung der Emanzipationsproklamation konzentriert. Und da ist „Django Unchained“, das neue Werk von Quentin Tarantino, das die Fantasie des Ex-Sklaven als Rächer in drei Stunden opulenter Bilder und cartoonhafter Gewaltorgien umsetzt, die man von Tarantino kennt.

„Django“ und „Lincoln“ erhitzen die Gemüter

Nun ist es nicht das erste Mal, dass Hollywood sich mit der Sklaverei auseinandersetzt. Die Toni-Morrison-Verfilmung „Beloved“ von 1997 etwa gehört dazu, ebenso Spielbergs Film „Amistad“ von 1998 über eine Revolte auf einem Sklavenschiff. Doch die beiden Filme waren kommerziell bestenfalls ein mäßiger Erfolg. Eine breite Diskussion lösten sie nicht aus. Anders verhält es sich mit „Lincoln“ und „Django“. Beide Filme haben zwischen Thanksgiving und Neujahr die Kinos gefüllt und wie schon lange keine Hollywood-Produktion mehr die Gemüter erhitzt. Die Zeit scheint reif für eine offene Diskussion über die Sklaverei in Amerika – oder zumindest über deren mediale Darstellung.

Dass all dies mit Obama zu tun hat, liegt auf der Hand. Sein zweiter Wahlsieg wurde von vielen Seiten als Anbruch eines neuen Amerikas gedeutet, eines Amerikas, in dem es keine Mehrheit und keine Minderheit mehr gibt, sondern nur ein multi-ethnisches Miteinander. Ob die sozialen Realitäten das überall im Land widerspiegeln, lässt sich freilich bezweifeln. Immerhin aber scheint das Bewusstsein eines solchen Wandels eine gewisse Entkrampfung im Diskurs über „Race“ bewirkt zu haben.

Nicht, dass nicht gestritten würde. Konservative Kritiker werfen Spielberg vor, Lincoln in allzu rosigem Licht erscheinen zu lassen. Mit der Aufgeklärtheit des Präsidenten, den Obama explizit als Vorbild nennt, sei es nicht so weit her gewesen, wie der Filmregisseur das glauben machen möchte. Im Gegenteil, der Sklavenbefreiung habe der zutiefst rassistische Lincoln mehr als ambivalent gegenübergestanden. Von echter Gleichberechtigung wollte er seiner humanistischen Überzeugung zum Trotz nichts wissen.

Dem Bösewicht wird übel

Von afro-amerikanischen Kritikern wird „Lincoln“ hingegen vorgeworfen, dass der Film einem klassischen Erzählmuster folge, wenn es um die Darstellung von Rassendiskriminierung gehe. Die Schwarzen in Spielbergs Film seien passive Beobachter, die ganz auf die Wohltätigkeit ihrer weißen Fürsprecher angewiesen seien. Außerdem werde das gesamte Phänomen der Sklaverei auf das Politische reduziert. Der Kampf um die gesellschaftliche Emanzipation der Afro-Amerikaner sei bei Spielberg ein blutleerer Vorgang in den Hinterzimmern von Washington.

Das kann man von „Django“ nicht behaupten. Der Film zeigt die Grausamkeiten der Sklaverei in einer Deutlichkeit, wie man das auf der großen Leinwand noch nicht erlebt hat. Selbst der Hauptfigur King Schultz, einem skrupellosen deutschen Kopfgeldjäger, brillant gespielt von Christoph Waltz, wird es unerträglich, den Sadismus des Plantagenbesitzers Calvin Candie alias Leonardo DiCaprio mit anzusehen. Als dieser einen Sklaven von Hunden zerfetzen lässt, wird ihm übel, während Django (Jamie Foxx) keine Miene verzieht. „Er ist noch nicht so an Amerikaner gewöhnt“, entschuldigt sich Django vielsagend für seinen Freund.

Dass er die Sklaverei beschönige, lässt sich Tarantino demnach beim besten Willen nicht nachsagen. Stattdessen muss er sich aus dem schwarzen Lager den Vorwurf gefallen lassen, nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit an das Thema heranzugehen. „Die Sklaverei war kein Spaghetti- Western“, twitterte Tarantinos Kollege Spike Lee. „Es war ein Holocaust. Meine Vorfahren waren Sklaven, die man aus Afrika gestohlen hat. Ich werde sie ehren.“

Ein Spiel mit zahlreichen Genres

Lee rügt an Tarantino dessen Tarantinotum. „Django Unchained“ ist, wie schon andere Filme des Regisseurs, etwa die Nazi-Groteske „Inglorious Basterds“, ein Meta-Film, ein Spiel mit den Gepflogenheiten eines halben Dutzends von Leinwandgenres, angefangen vom Spaghetti-Western über die Blaxploitation Filme der siebziger Jahre, die Tarantino schon seit „Jackie Brown“ beschäftigen, bis hin zum klassischen Hollywood-Western. Für Spike Lee und andere Kritiker ist diese Verspieltheit kein angemessener Umgang mit einem ernsten historischen Thema.

Was es bei der ganzen Diskussion nicht gab, waren indes Stimmen, welche die Greuel der Sklaverei verharmlosen wollten oder sie gar zum Teil verteidigten. Worum es geht, ist die angemessene Art der Historisierung – eine lange und zähe Debatte, wie man sie in Deutschland zur Genüge kennt. In den USA ist die Debatte über diesen Teil der eigenen Geschichte nach hundertfünfzig Jahren nun endlich aus akademischen Kreisen heraus und in die breite Öffentlichkeit gedrungen.