Footballspieler müssen in den USA bei der Nationalhymne künftig stehen – oder in der Kabine bleiben. Präsident Donald Trump jubelt, andere kritisieren den neuen Verhaltenskodex.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Es gibt Jobs, um die wird man von keinem beneidet. Roger Godell hat so einen. Der Commissioner der National Football League (NFL) ist seit vielen Monaten mit einer extremst diffizilen Angelegenheit betraut. Es geht um das nationale Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika, denn es geht um Football, um die Flagge und um die Hymne. Kurz: um alles, was in den USA höchste ideelle Bedeutung beigemessen wird.

 

Seit etwas mehr als einem Jahr spaltet eine Frage die (Football-)Nation: Wie geht die Liga damit um, wenn sich Profis zum Zeichen des Protestes beim Singen der Hymne mit einem Bein knien? Colin Kaepernick, einst Quarterback der San Francisco 49ers, hatte den Kniefall im Spätsommer 2016 eingeführt, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen – die Gefolgschaft des Afroamerikaners wuchs und wuchs. Konservative, Reaktionäre und Anhänger von Präsident Donald Trump sahen darin eine unerhörte Respektlosigkeit gegenüber den Werten der Nation. „Hurensöhne“ nannte Trump die Knienden. Viele seiner Landsleute akzeptierten die Geste als Meinungsäußerung, als Protestnote, die dazu führen möge, die USA lebenswerter zu machen.

Der Status quo war keine Option für die neue Saison; nicht für die nationalbewussten Fans, nicht für konservative Politiker, nicht für schwerreiche Clubbesitzer. Und so war es an Roger Godell, eine Lösung zu präsentieren. Vaterlandsliebe oder Meinungsfreiheit – welches Gut wiegt schwerer? Der 59 Jahre alte Commissioner war in einer verzwickten Lage und wies schließlich einen Weg: Es ist NFL-Profis nicht mehr gestattet, während „The star spangled banner“ gesungen wird, sich hinzuknien.

Präsident Trump lobt die NFL

Es ist jedem aber gestattet, sich während der Hymne in der Kabine aufzuhalten. Bei Zuwiderhandlung erhält nicht der Spieler, wohl aber der Club als dessen Arbeitgeber eine Strafe. In der Basketball-Liga NBA existiert längst ein ähnlicher Kodex. Ein salomonisches Urteil? Es war bei dieser Gemengelage von vornherein klar, dass Godell nicht von allen Seiten Standing Ovations erhalten würde. Die 32 Clubbesitzer votierten einstimmig dafür, im Weißen Haus war die Freude unüberseh- und hörbar. Präsident Trump versicherte der NFL sie „tue das Richtige“, und kritisierte es, sollten Spieler in der Kabine bleiben. Er erwarte, bei der Hymne stolz zu stehen. „Oder du solltest nicht spielen, du solltest nicht da sein, vielleicht solltest du nicht in diesem Land sein“, sagte er. Vizepräsident Mike Pence bekräftigte: „Es ist ein Gewinn für die Fans, ein Gewinn für den Präsidenten und ein Gewinn für Amerika.“

Gibt es also nur Gewinner? Kaum. Malcolm Jenkins sieht sich auf der anderen Seite. „Jeder verliert, wenn Stimmen mundtot gemacht werden“, sagte der Abwehrspieler der Philadelphia Eagles. „Ich werde nicht zulassen, dass man mich bei meinem Kampf stoppt.“ DeMaurice Smith, der Vorsitzende der Profigewerkschaft NFLPA reagierte weniger heftig, er war dennoch übellaunig, weil man die Meinungsfreiheit beschnitten und die Spieler übergangen habe. „Wenn man eine so wichtige Entscheidung trifft“, ärgerte sich Tyrod Taylor, Quarterback der Cleveland Broncos, „hätte man sich den Input der Spieler gewünscht.“

Der Kodex gilt. Der tiefe Graben, der die Football-Welt trennt, ist damit kaum flacher. Ihn zuzuschütten, dafür benötigt es Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick. Darf man diese Fähigkeiten in einer derart körperbetonten Sportart wie Football wirklich erwarten?