Kunst und Mode kombinieren Charlotte Stein und Maria-Assunta Marci in der Theaterpassage. Das Geschäft „Là pour Là“ und die Galerie „Jenseits von jedem“ haben dort ihre Pforten geöffnet und zielen auf junges Szenepublikum.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Die gemeine Einkaufspassage ist ein sehr deutsches Phänomen der Konsumgesellschaft. Sie findet sich gerne am Rande der gemeinen Fußgängerzone. Stuttgart hat ein paar besonders hübsche Einkaufspassagen in petto. Die Calwer Passage war kürzlich Gegenstand der Berichterstattung der StZ, weil sie zu einem Konsummuseum geworden ist. Die Stephanspassage gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof ist mit ihren Fixpunkten Wäscherei, Media Markt und Kaufhof-Hinterausgang besonders pittoresk. Und die Theaterpassage, die sich gleich links am Beginn der Königstraße befindet, taugt auch nicht gerade als Visitenkarte für auswärtige Gäste. Hätte sich dort nicht kürzlich ein hippes Bekleidungsgeschäft angesiedelt, in dessen Keller am Wochenende eine noch hippere Galerie eröffnet wird.

 

Interessiert am Zusammenspiel von Mode, Subkultur und Kunst

Deren junge Gäste werden eher weniger Interesse am „Atlas der Deutschen Philatelie“ aus dem Hause Michel haben, den Marken Schneider, ehemals Briefmarken Kessler, im Nachbargeschäft derzeit für 79 Euro im Angebot hat. Die Gäste der Boutique Là pour Là und der neuen Galerie „Jenseits von jedem“ sind eher interessiert am Zusammenspiel von Mode, Subkultur und Kunst. Den liefern an der Stelle Maria-Assunta Marci und Charlotte „Charlie“ Stein. Marci war früher Filialeiterin des Kauf-dich-Glücklich-Geschäfts (KDG) einer Berliner Kette in der Innenstadt, bei der der Name Programm ist: Hier gibt es nicht nur Kleidung, Musik und Kunstbücher zu kaufen, sondern gleich ein ganzes Lebensgefühl obenauf. Das Là pour Là funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip, ist aber individueller als KDG. Marci kleidet in ihrem Laden die Stuttgarter Szene ein, veranstaltet Partys und unterstützt darüber hinaus Clubfestivals wie das „Pop not Pop“. „Ich finde, dass Mode und Subkultur viel miteinander zu tun haben: Die Designer lassen sich nur zu gerne von Looks abseits des Mainstreams inspirieren. Umgekehrt nutzen viele Menschen Mode, um sich abzugrenzen“, sagt Marci.

In München und Peking Freie Grafik und Malerei studiert

Die Wahl-Stuttgarterin Charlotte „Charlie“ Stein braucht keine Mode, um sich abzusetzen. Zum Ortstermin in der urbanen Kellergalerie kommt sie zwar mit der obligatorischen Jutetüte, seit den Nullerjahren der staatlich anerkannte Hipp-ness-Ausweis, ansonsten lässt die 26-Jährige aber lieber ihre Kunst für sich sprechen. Stein hat in München und Peking Freie Grafik und Malerei studiert, dann in Stuttgart Politik und Anglistik und ist nun Studentin bei Konzept- und Medienkünstler Christian Jankowski an der Kunst-Akademie. Die erste Ausstellung der neuen Off-Location mit dem Titel „Im Glashaus“ hat sie kuratiert, eigene Werke stellt sie bei der Premiere nicht aus. „Ich habe bereits während meines Studiums in Peking und in Abu Dhabi in Kunstgalerien gearbeitet und war in diesem Bereich dann auch auf der Art Dubai mit einer Galerie vertreten“, erzählt sie. In die Einkaufspassage hätten diese Worte nicht gepasst, im Kunstkeller unter der Boutique klingt die Ansage dagegen erstaunlich richtig. Ist die Lage der Galerie aber nicht etwas gewagt? „Die Lage könnte kaum besser sein. Ein bisschen ‚off‘, weil ja doch etwas versteckt im Untergeschoss, gleichzeitig aber in der Königsstraße 1 absolut zentral gelegen.“

Stuttgart ist für Künstler ein härteres Pflaster als Berlin

Maria-Assunta Marci und Charlotte Stein hätten für ihre Neueröffnung eigentlich einen Orden verdient, gehören sie nämlich zur seltenen Spezies der Kreativen, die nicht lamentiert, wie schlimm Stuttgart sei, sondern etwas gegen die Ödnis unternimmt. „Für mich ist Stuttgart auf eine Weise interessanter als München oder Berlin. Wer in Stuttgart Künstler ist, muss arbeiten und produktiv sein – einfach nur rumhängen und experimentieren, das ist Berlin. Insofern ist Stuttgart für Künstler das härtere Pflaster, um sich zu beweisen und für mich persönlich momentan spannender und streckenweise vielleicht auch einfach etwas ehrlicher“, sagt Stein.

Arbeiten von drei Künstlern bei der Premierenausstellung

Zur Premierenausstellung von „Jenseits von jedem“ stellt Stein drei Künstler vor. „Bei den Arbeiten von Lilith Becker überzeugt mich die Konsequenz, mit der sie bei der Umsetzung vorgeht. Wenn sie für eine Arbeit mit Explosionen Sprengstoff benötigt, dann verschlägt es sie auch mal für mehrere Monate in die Schweiz, weil sich das dort leichter umsetzen lässt.“ Georg Lutz bringe dagegen Material und Text präzise zusammen. „Annika Winkelmann gelingt es mit ihren Arbeiten, die Wahrnehmung des Betrachters zu hinterfragen.“ Wenn den Beteiligten mit dem Off-Space „Jenseits von jedem“ jetzt auch noch gelingt, eine Passage im toten Winkel der Innenstadt aufzuwerten, haben sie das vielleicht größte Kunstwerk vollbracht.