Monika Stein, die neue Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), verlangt dringend ein Corona-Schutzkonzept für die kalten Monate und wirft dem Kultusministerium ein gebrochenes Versprechen vor.

Stuttgart - Monika Stein, neue Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), verlangt FFP-2-Masken für Lehrer und verspricht, in der Corona-Krise „kämpferisch“ für deren Interessen einzutreten. Das Aufgeben der Hauptschulen hält sie für verfrüht.

 

Frau Stein, wir gratulieren zum Landesvorsitz der GEW. Welche schulpolitischen Inhalte wollen Sie durchsetzen?

Vielen Dank! Die GEW in Baden-Württemberg ist sehr gut aufgestellt. Da brauchen wir keinen großen Wechsel in der Strategie und bei den Inhalten. Wir setzen uns ein für gute Rahmenbedingungen in der Bildung, der Erziehung und der Wissenschaft sowohl für die, die sie wahrnehmen, als auch für die, die dort arbeiten.

Was empfinden Sie als drängendstes Problem im Bildungssektor?

Der Personalmangel an Schulen und Kitas ist das größte Problem – und er wird sich noch verschärfen. Wir brauchen dringend mehr Ausbildungsplätze und mehr Studienplätze, um die Lücke zu schließen. Wir haben eine große Personalnot bei Erzieherinnen und Erziehern, in den Grundschulen, an beruflichen Schulen und an Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, die früher Sonderschulen hießen. Es gibt Grundschulen auf dem Land – seltener in Städten und Ballungszentren –, wo der Lehrkräftemangel so groß ist, dass dort Leute eingesetzt werden, die noch nie eine Pädagogische Hochschule von innen gesehen haben. Die ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen an diesen Schulen haben nicht die Zeit, diese weder geschulten noch fortgebildeten Lehrkräfte zu unterstützen. Ich empfinde das als Drama.

Auch die SPD verlangt 1000 neue Lehrerstellen. Wer aber soll die bezahlen?

Wenn wir nicht in die Bildungspolitik investieren, dann wird es für die Gesellschaft extrem teuer. Ich habe zehn Jahre lang im Justizvollzugsanstaltsbeirat gearbeitet. Wer sich die Biografien der jungen Häftlinge anschaut, findet da viele Verlierer des Bildungssystems. Wir dürfen aber keine Verlierer mehr produzieren.

Ihre Vorgängerin Doro Moritz galt als kämpferisch. Welchen Stil werden Sie pflegen?

Ich komme aus der Kommunalpolitik und streite leidenschaftlich gerne. An dieser kämpferischen Haltung im GEW-Vorsitz wird sich nichts ändern.

Sie selbst sind „von Herzen“ Haupt- und Werkrealschullehrerin gewesen. Haben Sie eine Gemeinsamkeit mit der CDU im Wunsch nach dem Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem?

Meine Kolleginnen und Kollegen an den Haupt- und Werkrealschulen leisten hervorragende Arbeit, aber diese Schulart ist von vielen Eltern abgewählt worden. Die Gemeinschaftsschulen sind gerade in der Corona-Krise Leuchttürme mit ihren Lernkonzepten und dem Vorsprung bei der Digitalisierung. Wir müssen alle Schularten so ausstatten, dass sie ihre oft sehr unterschiedlichen Schüler optimal fördern können. Ich bin dagegen, irgendeine Schulart zu beenden, wenn die bestmögliche Förderung durch andere Schulen noch nicht gewährleistet ist. Sie haben es angesprochen: Ich bin von Herzen Haupt- und Werkrealschullehrerin gewesen, es ist mir sehr schwergefallen, meine Klasse vor den Sommerferien zu verlassen, um mein neues Amt anzutreten.

Zu Corona: Die SPD will den wöchentlichen Wechsel von Präsenz- und Fernunterricht. Ist das der richtige Weg?

Wir halten wöchentliche Wechsel aus pädagogischen Gründen für ungünstig. Ein täglicher Wechsel ist besser oder ein Wechsel in einem engeren Zeitrahmen. Die Familien haben im Frühjahr unter den Schulschließungen sehr gelitten, waren überstrapaziert, es gab Krach in den Familien. Wir haben da Kinder und Jugendliche verloren, die völlig aus dem Tag-und-Nacht-Rhythmus gefallen sind. Die Eltern waren mit der neuen Aufgabe überfordert, sie haben auch andere Jobs, als Schule für ihre Kinder zu sein. Bei einem tageweisen Wechsel von Präsenz- und Fernunterricht hätten wir die Chance, die Schüler enger zu unterstützen und zu fördern. Bei der genauen Ausgestaltung kann in jeder Schulart und vor Ort differenziert werden.

Verfolgt Kultusministerin Susanne Eisenmann den richtigen Kurs beim Corona-Schutz der Schulen?

Nein, überhaupt nicht. Sie müsste jetzt dringend etwas liefern in Richtung Wechselmodell. Wir haben keine andere Wahl. Der Präsenzunterricht ist gut, aber wenn es mit den Infektionszahlen so weitergeht, haben wir bald komplette Schulschließungen. Schon vor Langem hat das Robert-Koch-Institut empfohlen, man möge bei einer Inzidenz über 50 Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohnern zu kleineren Gruppen an den Schulen zurückkehren. Da hat sich das Land glatt darüber hinweggesetzt. Wir brauchen auch gute Lüftungssysteme. Jetzt kommt der Winter mit Niederschlägen und Stürmen, da geht das Lüften alle 20 Minuten schlecht.

Warum erhalten Grundschullehrer eigentlich keine Masken, die Lehrer von anderen Schularten aber schon?

Das wird damit begründet, dass es keine Maskenpflicht an Grundschulen gibt, aber ich halte das für skandalös. Wir fordern FFP-2-Masken für die Lehrer, die sie brauchen und wollen. Alltagsmasken sollten an allen Schulen, auch den Grundschulen, jederzeit vorrätig sein. Lehrer sagen uns, sie fühlten sich nicht sicher im Unterricht. Im Übrigen hat das Ministerium die FFP-2-Masken schon vor der Sommerpause zugesagt – bis heute sind sie nicht da.

Welches Verhältnis hat die GEW denn zu den anderen Lehrergewerkschaften, beispielsweise dem Verband Bildung und Erziehung oder dem Philologenverband?

Es geht uns allen um gute Arbeitsbedingungen, aber es gibt Unterschiede darin, wie wir Schule und Bildung allgemein eigentlich verstehen. Jetzt in der Corona-Krise aber sind wir zusammengerückt, erheben ähnliche Forderungen zum Schutz der Beschäftigten. Mit gut 50 000 Mitgliedern in Baden-Württemberg ist die GEW allerdings bei Weitem die größte Gewerkschaft im Bildungsbereich.