Was Pfarrer längst tun, soll nun legal werden: Unter gewissen Voraussetzungen sollen auch wiederverheirateten Geschiedenen die Sakramente bei der Kommunion gewährt werden, sie sollen auch Mitglied im Pfarrgemeinderat sein dürfen.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Nein, sie wollen jetzt nichts sagen, nicht einmal anonym. Wenn ihr Pfarrer genannt würde, könne man daraus schließen, wo sie wohnen. Sie sind engagiert in der Kirchengemeinde. Nennen wir sie die Baumerts. Sie sind bei jedem Gottesdienst dabei, sie helfen beim Altennachmittag und beim Pfarrfest. Er will für den Kirchengemeinderat kandidieren, sie ist verantwortlich für den Bücherflohmarkt und ist Mitglied in der Caritaskonferenz, denn sie arbeitet in einem kirchlichen Pflegeheim. Sie sind beide Mitte fünfzig, ihre Kinder haben die Pfadfinderzeit hinter sich und gehen schon mal mit „Sacrotours“ auf Reisen. So nennen sie die Pilgerfahrten nach Rom oder Lourdes.

 

Sie sind brave Katholiken – mit einem einzigen Makel. An der Kommunion, dem heiligen Akt der symbolischen Gabe vom Leib Christi, dürften sie eigentlich nicht teilnehmen, denn sie sind beide geschieden und leben in zweiter Ehe ohne den Segen der katholischen Kirche. Sie dürften nicht, sie können es aber doch, denn es gibt in der Erzdiözese Freiburg eine große Zahl von Pfarrern, die sich seit langer Zeit nicht mehr an das Verdikt halten, wonach geschiedene und wiederverheiratete Gläubige von der Eucharistie fernbleiben müssen. Denn nach dem Kirchenrecht ist eine einmal geschlossene Ehe nicht durch die weltliche Scheidung ungültig, vielmehr besteht sie fort. Eine zweite, standesamtlich geschlossene Ehe ist kirchlich gesehen Ehebruch und damit Sünde.

Wie Katholiken mit einer Sünde verfahren, ist bekannt, sie wird bereut, gebeichtet, und es gibt die Absolution. Nicht so bei den fortwährenden Ehebrechern, auch wenn sie bereits unter Beweis gestellt haben, dass die zweite Ehe solide und von Dauer ist. „Das ist doch der Widerspruch“, sagt Pfarrer Konrad Irslinger. „Alles Mögliche wird verziehen. Ein Diktator Pinochet konnte die Absolution bekommen, ein wiederverheirateter Geschiedener nicht.“ Der 64-Jährige ist Pfarrer in der Seelsorgeeinheit Freiburg Südwest, die 2009 aus den Pfarreien in den Stadtteilen Haslach, Weingarten und dem Rieselfeld gebildet wurde.

„Sogar Pinochet hat die Absolution bekommen“

Die Baumerts gehören nicht zu Irslingers Gemeinde, aber die Fälle gleichen sich. So ganz genau kennt Irslinger die Zahl seiner wiederverheirateten Geschiedenen nicht, zwischen fünf und zehn seien es bisher gewesen. Er führt nicht Buch darüber.

Auch katholische Pfarrer wissen, dass unter Umständen eine Rückkehr in eine grausige Ehe nicht zumutbar ist. Manche werden vom Partner sitzen gelassen, wo ist da die Schuld? „Viele machen das mit sich selbst aus, kehren aber der Kirche den Rücken, wenn sie dort weder Verständnis noch Trost für ihre Konflikte finden“, sagt Pfarrer Herbert Malzacher (63), Leiter der Seelsorgeeinheit Obere Möhlin südlich von Freiburg. „Dabei finden viele in der Auseinandersetzung mit diesen Einschnitt in ihrem Leben zurück zum Glauben.“

Bei den Pfarrern Malzacher und Irslinger wird längst praktiziert, was nach der jetzt bekannten „Handreichung“ des Seelsorgeamtes der Erzdiözese Freiburg auch offiziell möglich sein soll. Zumindest in den Kirchen und Seelsorgeeinheiten des Erzbistums zwischen Tauberbischofsheim und Konstanz: Unter gewissen Voraussetzungen sollen auch wiederverheirateten Geschiedenen die Sakramente bei der Kommunion gewährt werden, sie sollen auch Mitglied im Pfarrgemeinderat sein dürfen. Und als deutliches Zeichen, dass die wiederverheirateten Geschiedenen als vollwertige Gemeindemitglieder akzeptiert werden, kann es künftig für sie ein gemeinsames Gebet mit dem Geistlichen geben, der dann zwar nicht das Paar, aber immerhin eine Kerze segnet, die beide in der Hand halten. Eine Art Ersatzritual für die nicht mögliche zweite kirchliche Trauung. Das ist mehr, als die 300 Unterzeichner eines Memorandums im März 2011 im Freiburger Erzbistum gefordert haben.

Man sollte Erzbischof Zollitsch keine Naivität unterstellen

„Aber es ist kein zweiter Trauungsritus“, betont Konrad Irslinger, der zu den Initiatoren des Memorandums gehörte. Die Pfarrer hatten in dem Aufruf offen bekannt, dass in ihren Gemeinden Leute wie die Baumerts zur Kommunion gehen und Bußsakrament oder Krankensalbung in Empfang nehmen, sowie im Gemeinderat und anderen Einrichtungen mitarbeiten dürfen. Dass sie gegen die Kirchenpraxis verstoßen, gibt Irslinger zu, nicht aber, dass es ein Verstoß gegen Kirchenrecht ist. „Es gibt die Lehrmeinung, dass ein Pfarrer die Kommunion gar nicht verweigern darf – es sei denn, es lägen schwerwiegende Gründe offensichtlich vor.“

„Für mich steht die Gewissensentscheidung im Mittelpunkt“, betont Irslinger. Das Gewissen der Betroffenen. „Wenn nach einer gescheiterten ersten Ehe eine neue Verbindung in Liebe gelebt wird, ist die Heiligkeit Gottes da.“ Er lächelt und lehnt sich zurück: Das habe auch, als er noch Student war, vor vierzig Jahren „ein gewisser Professor Josef Ratzinger“ festgestellt. Dass eine außerhalb der Kirche geschlossene Ehe zwar kein Sakrament, aber doch ein „sacrum“ sei. Als Papst Benedikt habe er diesen Gedanken leider nicht weitergesponnen. Schon als Chef der Glaubenskongregation nicht. Ratzinger war es, der die erste Freiburger Initiative zum Thema Wiederverheiratete vor 20 Jahren abgeschmettert hat.

Andererseits mussten die Reformer im April 2012 zur Kenntnis nehmen, dass auch Benedikt eine Ausnahme machte: Der geschiedene und wiederverheiratete und dann noch einmal nachweislich ehebrecherische bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer empfing damals die Hostie kniend aus der Hand des Papstes in der Capella Paolina im Vatikan. Aber es soll auch künftig keinen Freibrief für Mehrfachsünder geben. Die „Handreichung“ wird an diesem Punkt deutlich: Versagen beim Scheitern der ersten Ehe muss bereut, Schaden wieder gutgemacht und die Unterhaltsverpflichtungen eingehalten werden. „Es ist darauf zu achten, ob ein Partner seine erste Ehe unter großem öffentlichen Aufsehen und evtl. sogar Ärgernis zerbrochen hat“, heißt es in dem Text.

Wird der Pfarrer zum Richter? Irslinger hebt und senkt beide Hände in Hüfthöhe – die Geste für „Ball flach halten“. Eine Handreichung ist kein Gesetz. „Wie das im Einzelnen laufen soll, ist ja noch nicht geklärt.“ Zum Beispiel auch nicht, ob die zu führenden Gespräche schriftlich bestätigt werden müssen – eine Art Bescheinigung. Und wann genau soll das gemeinsame Gebet mit Segnung der Kerze stattfinden? Nach einem Jahr? Nach zwei Jahren stabiler Ehe? Bei einem Gesetz würde man sagen, die Ausführungsbestimmungen fehlen noch.

Wird der Pfarrer zum Richter?

„Es ist noch alles im Fluss, aber es ist nicht aufzuhalten“, sagt Irslinger. Er freut sich über den Fortschritt. Dass sein Erzbischof Zollitsch jetzt festgestellt hat, die Handreichung sei ohne sein Wissen und vorzeitig veröffentlicht worden und nur ein Diskussionsbeitrag, nötigt dem freundlichen Pfarrer ein mildes Lächeln ab. „Naivität“, sagt er und kneift die Augen etwas zusammen, würde er dem Erzbischof nicht unterstellen. Das Papier wurde auf einer Dekanatskonferenz am 2. Oktober vorgestellt. Der Glaube, dass es dann noch geheim bleiben könnte, wäre ein Trugschluss.

Doch die Baumerts bleiben skeptisch. Erst wollen sie abwarten, was der Papst sagt. Erzbischof Zollitsch reist wohl am Wochenende nach Rom und wird am Donnerstag von Franziskus empfangen.