In weniger als einem Monat reduziert sich die Reisezeit auf der Schiene zwischen Stuttgart und Ulm um eine Viertelstunde. Die Oberbürgermeister der beiden Städte freut’s, auch wenn aus Ulm deutliche Forderungen an die Bahn gerichtet werden.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

So ganz einig sind sich die Herren nicht geworden, welche Stadt denn nun zum Vorort der jeweils anderen Stadt wird: Am Montag haben die beiden Oberbürgermeister von Ulm und Stuttgart, Gunter Czisch und Frank Nopper (beide CDU), die Perspektiven ausgelotet, die sich aus der Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke zwischen Wendlingen und Ulm am zweiten Dezemberwochenende für die Landeshauptstadt und die Großstadt an der Grenze zu Bayern ergeben.

 

Ulm fordert von der Bahn mehr Engagement

Die Zahl der Züge im Fernverkehr zwischen Donau und Neckar erhöht sich, die Fahrzeit reduziert sich um 15 Minuten. „Kurz und bequem unterwegs sein, ist ein Schlüssel für die Verkehrswende“, sagte Czisch. Der Ulmer Rathauschef nahm für seine Stadt und die umgebende Region in Anspruch, viel für die Realisierung der Neubaustrecke, aber auch von Stuttgart 21 getan zu haben. „Aus Ulm kam ganz viel Rückenwind für die Projekte“, sagte er und erinnerte an Initiativen, die vor der Volksabstimmung für das Vorhaben warben. Und Ulm sei in Vorleistung gegangen, als klar war, dass die Bahnvorhaben in trockenen Tüchern sind: Am Bahnhof sei eine neue Tiefgarage entstanden, der Bahnhofsvorplatz ist neu gestaltet, über ihn fährt auch die neue Linie 2 der Ulmer Straßenbahn, und nur einen Steinwurf entfernt ist ein neues großes Einkaufszentrum entstanden. Angesichts von 60 000 täglichen Einpendlern bei 100 000 Arbeitsplätzen sei zudem der Ausbau des Projekts „Regio S-Bahn“ von entscheidender Bedeutung.

Umso mehr ärgert man sich in Ulm, dass aus dem Neubau des eigenen Bahnhofs nichts geworden ist. Auch wenn Czisch diplomatisch die Bahn lobt, dass sie 25 Millionen Euro in die Station steckt, macht er auch klar, dass das nur ein Anfang sei. Deutlichere Worte findet Martin Rivoir (SPD), zugleich Landtagsabgeordneter und Stadtrat in Ulm. Seine Sicht der Dinge hat er am Montag in einem Brief an Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, dargelegt. Anlass sind die Feierlichkeiten, die der Schienenkonzern zur Eröffnung der neuen Strecke in Ulm organisieren möchte – und dafür auf bahnfremdes Terrain ausweicht. „Diese Feier wird ja in der neu geschaffenen Sedelhofpassage unter dem neu gestalteten Bahnhofsplatz stattfinden. Das ist gut so, denn dadurch können Sie sich selbst ein Bild von dem Stückwerk machen, welches zukünftig das östliche Entree zur Neubaustrecke bildet“, schreibt Rivoir dem Bahnchef.

Angesichts fehlender Rolltreppen zu den Gleisen spricht der Sozialdemokrat von „asymmetrischer Barrierefreiheit“. Was die Bahn plane, entspreche „in keiner Weise den Ansprüchen eines adäquaten Zugangs zur hochmodernen Infrastruktur der Neubaustrecke“. In Stuttgart werde das bestehende Bahnhofsgebäude für einen dreistelligen Millionenbetrag saniert und umgebaut. „Ein entsprechendes finanzielles Engagement erwarte ich von der Bahn auch in Ulm, zumal die Stadt für die Modernisierung der Infrastruktur vor dem Ulmer Hauptbahnhof über 60 Millionen Euro investiert hat.“

Nopper sieht „Wettbewerb der Städte“

Stuttgarts OB Frank Nopper hingegen muss sich zusammen mit den Stuttgarterinnen und Stuttgartern noch länger mit den Einschränkungen herumplagen, die die Großbaustelle in der Innenstadt mit sich bringt. „Ich habe gelernt, dass Geduld eine ganz wichtige Kategorie in der Politik ist“, sagte Nopper. An Czisch gewandt sprach er von einer „Technologieachse Stuttgart–Ulm“, die Perspektiven für den Tourismus, den Einzelhandel und die Kultur habe. Ob Stuttgart oder Ulm das bessere Ende dabei besitzt, ließ Nopper offen. „Das mündet nun in einen Wettbewerb der Städte“, so Nopper.

Dass der nicht am mangelnden Zuspruch von Fahrgästen auf der Schnellfahrstrecke scheitert, prognostizierte Olaf Drescher, Chef der Bahnprojektgesellschaft, die sowohl die Trasse wie auch Stuttgart 21 realisiert. Im Laufe seines Berufslebens hatte er schon die neuen Strecken zwischen Hamburg und Berlin sowie zwischen Berlin und München eröffnet. „Meiner Erfahrung nach macht man sich recht schnell nach solchen Eröffnungen auf die Suche nach zusätzlichen Fahrzeugen, um den Ansturm zu bewältigen.“

Ulm in weniger als 30 Minuten erreichen

Für 2025 kündigte Czisch einen abermaligen Besuch in Stuttgart an – zu diesem Zeitpunkt hofft die Bahn, Stuttgart 21 in Betrieb nehmen zu können. Mit dem neuen Stuttgarter Bahnknoten würde sich die Fahrzeit von Ulm nach Stuttgart auf dann noch 27 Minuten reduzieren. „Es gibt dann Stadtteile von Stuttgart, aus denen braucht man länger in die Innenstadt als von Ulm in die Stuttgarter City“, sagte Nopper. Er warb angesichts der langen Verfahren für derartige Projekte für mehr Mut. „Die Angst vor dem Misslingen bremst uns doch schon sehr.“