Ein halbdokumentarischer Film mit Joyce DiDonato und ein neuer Spielfilm von Stephen Frears zeigen die schlechteste Sängerin aller Zeiten als Zeitphänomen – und als anrührend zerbrechlichen Menschen. Wer war die Diva, die 1944 ohne Kunst die New Yorker Carnegie Hall füllte?

New York - Acht Mal das hohe c, acht Mal das hohe a, jedes Mal mit einem abschließenden Quintsprung abwärts. Achtzehn Töne aus der zweiten Arie von Mozarts Königin der Nacht, in deren Herz der Hölle Rache tobt. Achtzehn Töne der Wut. Achtzehn Mal trifft die Sängerin daneben, und selbst bei den Oktavsprüngen, die Mozart zu den Worten „verstoßen, verlassen und zertrümmert“ komponierte, gelangt sie nicht glücklich ans Ziel. Der Saal ist ausverkauft, die 2500 Plätze der Carnegie Hall belegt, aber das johlende Publikum hält es nicht auf seinen Plätzen. Vor lauter Lachen laufen den Zuhörern Tränen über die Wangen. Sie werden ihre Freude heraustragen aus dem berühmtesten Konzerthaus der Welt, und der Abend, dem sie beiwohnten, wird als denkwürdigstes aller Fremdschäm-Ereignisse in die Musikgeschichte eingehen.

 

Florence Foster Jenkins heißt die Frau, die mit diesem Auftritt als 76-Jährige ihre Karriere als Möchtegern-Diva krönt. Die ist die Sängerin, die nicht singen kann und es dennoch tut, selbstbewusst, ja sogar mit so etwas wie Sendungsbewusstsein. Über sie kann man lachen, wenn man heute – am eindrucksvollsten auf der LP/CD mit dem süffisanten Titel „The Glory (???) of The Human Voice“ – in der Haltung eines besserwissenden, leicht masochistisch veranlagten Nachgeborenen dem lauscht, was die Glöckchenarie aus Léo Délibes’ Oper „Lakmé“ oder was das „Ha, ha, ha“ von Adeles Arie „Mein Herr Marquis“ aus Johann Strauß’ „Fledermaus“ hätte sein können. Da stimmt die Tonhöhe nicht, Töne werden nicht gehalten Rhythmus und Metrum schwanken derart, dass der Begleiter am Klavier Blut und Wasser geschwitzt haben muss. Nur Florence Foster Jenkins, ganz vertieft in ihr Singen, zu dem sie sich schon als Kind berufen fühlte, bleibt immer ernst. Sie ist Künstlerin, sie glaubt an sich, glaubt an Wert und Wichtigkeit dessen, was sie tut.

Diese Stimme, schrieben Kritiker, klinge wie die eines besoffenen Kuckucks

Es mag sein, dass diese Frau ihre eigene Stimme anders wahrnahm, als dies ihre Umwelt tat. Es mag auch sein, dass sie in ihrem Hirn die eigenen Töne zurechtbog, dass sie sie gleichsam „schön hörte“. In jedem Fall war sie einsam dort vorne auf der Bühne: eine tragische Gestalt. Man könnte auch weinen, wenn man spürt, wie weit hier Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinanderklaffen.

Nach dem Konzert in der Carnegie Hall schreiben erstmals Kritiker über sie: Diese Sängerin könne „alles singen außer Noten“, ihr Gesang klinge wie der eines „besoffenen Kuckucks“, und überhaupt treffe sie „nur ein paar Noten, alle anderen sind leere Versprechen“. Als Florence Foster Jenkins dies liest, ist das ein Schock. Nur einen Monat nach ihrem großen Auftritt stirbt sie an einem Herzinfarkt. Wer aber war diese Diva, die keine war? Worin liegt der Zauber der (auch dies stand so in einer Zeitung zu lesen) „Königin der Dissonanzen“? Was fasziniert an Florence Foster Jenkins –jenseits des beeindruckenden Ansichselbstglaubens, das selbst die Posen heutiger Youtube-Starlets locker in den Schatten stellt, jenseits ihrer sehr amerikanischen Vita und jenseits der Skurrilität ihrer Geschichte?

In ihrer ersten Ehe infiziert sich Florence Foster Kenkins mit Syphilis

1868 in dem kleinen Ort Wilkes-Barre in Pennsylvania geboren, zieht es schon die Schülerin zur Musik; auf dem Klavier halten sie manche für ein Wunderkind, aber ihre große Leidenschaft, das Singen, will der Vater partout nicht finanzieren. Wohl auch um dem sehr restriktiven Elternhaus zu entfliehen, heiratet sie schon als 17-Jährige den Arzt Frank Thornton Jenkins. Kinderlos geht die Ehe nach 17 Jahren auseinander, aber bis an ihr Lebensende leidet Florence an der Syphilis, mit denen sie ihr Mann infizierte. Die Wahnvorstellungen, die ihr Leben zunehmend prägen, hat man später auch auf die damals übliche Behandlung der Krankheit mit Quecksilber und Arsen zurückgeführt.

Die Welt als Wille und Vorstellung: So gab sich das Leben aus den Augen der Sängerin. In Ralf Plegers mit Spielszenen durchsetztem Dokumentarfilm („Die Florence Foster Jenkins Story“), der an diesem Donnerstag in die Kinos kommt, gibt die Starsopranistin Joyce DiDonato gleichsam die Wunschvorstellung eines virtuosen Ariengesangs, also genau jenes Bild, das Foster Jenkins von sich selbst imaginierte – einen Traum, der aus den Bildern der von ihr so geliebten Tableaux vivants gleichsam herauswächst.

In denen posierte die Diva singend in abenteuerlichen Kostümen als Heldin: mal als weiße Aida inmitten dunkel bemalter Statisten, mal als Tierchen („Der Schmetterling und die Blumen“) in ungestörter Natur. Die Welt der falschen Töne, die sich DiDonato für den Film hart antrainieren musste und in die sie nach den Ausflügen ins Schöne immer wieder hineingleitet, hat die Figur, die sie spielt, damals weder gehört noch wahrgenommen.

Bekannt wird die Sängerin über Frauen- und Gesellschaftsclubs

1909 lernt Florence Foster Jenkins in New York den englischen Schauspieler St. Clair Bayfield kennen, der sie bis zu ihrem Lebensende begleiten, aber nie heiraten wird. Bayfield wird, nachdem ihr das reiche Erbe des Vaters eine Konzentration auf ihren Traum vom Singen erlaubt, ihr Manager. 1912 gibt die 44-Jährige ihr erstes Konzert und wird in den folgenden Jahren vor allem über Frauen- und Gesellschaftsclubs (unter ihnen ist auch der von ihr selbst gegründete Verdi-Club) bekannt. Unter den skurrilen Geschichten, die über die Möchtegern-Diva kursieren, ist auch jene von einer Taxifahrt, die mit einem Unfall endete; wenige Tage später ließ die Sängerin dem Fahrer eine Kiste Zigarren zukommen – mit Dank dafür, dass ihr hohes c nach dem Crash tatsächlich noch ein wenig höher geworden sei.

Was bleibt von Florence Foster Jenkins? Einerseits: Das Bild einer starken, ungemein selbstbestimmten Frau, deren Leben schon 2015 für einen Film (Xavier Giannolis „Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne“) gut war. Von „unerhörter Freiheit“ spricht Joyce DiDonato.

Andererseits: die Tragik dahinter. Florence Foster Jenkins war der vielleicht traurigste Witz der Musikgeschichte, eine zerbrechliche Frau, die nicht mehr leben konnte, als ihre perfekte Welt plötzlich Risse bekam, durch die sie nach außen sehen konnte. Da muss sie sich ähnlich entblößt gefühlt haben wie der Kaiser in Andersens Märchen, der erst viel zu spät merkte, dass seine neue Kleider nichts waren als Traumgespinste. „Die Leute“, so steht es auf dem Grabstein der Sängerin, „können vielleicht behaupten, dass ich nicht singen kann. Aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte.“