Brisante Dokumente aus den USA sollen die Verstrickung von Bosch in den Dieselskandal belegen. Nun, da Bosch auch in Stuttgart verklagt wird, muss der Konzern sie womöglich beim Landgericht vorlegen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Bosch-Konzern wird nun auch in Deutschland wegen seiner Rolle beim VW-Dieselskandal auf Schadenersatz verklagt. Eine entsprechende Klageschrift, in der die Mitverantwortung des weltgrößten Autozulieferers für die Abgasmanipulationen herausgestellt wird, wurde am Mittwoch beim Landgericht Stuttgart eingereicht. Damit werde eine bereits anhängige Klage eines Kleinanlegers gegen die Porsche Automobil Holding SE als Mehrheitsaktionärin von Volkswagen auf Bosch erweitert, teilte der zuständige Rechtsanwalt Andreas Tilp unserer Zeitung mit. Ebenso wie Volkswagen und die Porsche Holding hafte Bosch für Schäden von zehn Milliarden Euro, die Anlegern durch den Abgasskandal entstanden seien.

 

„Ohne Bosch hätte es Dieselgate nicht gegeben“, betonte Tilp. Der Konzern, der die umstrittene Motorsteuerung entwickelt hatte, habe die Manipulation der Märkte durch VW und die Porsche SE billigend in Kauf genommen und dazu Beihilfe geleistet. Zudem habe er selbst Verbraucher, Anleger und Investoren „in sittenwidriger Weise geschädigt“. Damit hafte Bosch auch für Verluste bei den Wertpapieren.

Bosch äußert sich weiter nicht zu Details

Ein Sprecher der Robert Bosch GmbH sagte unserer Zeitung, man äußere sich weiterhin „nicht zu Details“ von strafrechtlichen Ermittlungen oder Zivilgerichtsverfahren. Der Konzern verteidige seine Interessen in den Klageverfahren und kooperiere „vollumfänglich und vollständig“ mit den zuständigen Behörden.

Mit der Klage wächst der Druck auf Bosch, brisante und womöglich belastende Unterlagen herauszugeben. In einem anderen Verfahren am Landgericht Stuttgart hatte ein Richter erst im März angeordnet, Bosch solle verschiedene Korrespondenzen mit VW und Audi vorlegen. Damit folgte es einem Antrag des Klägeranwaltes Klaus Nieding, der dies als „deutliche Stärkung der Klägerposition“ begrüßt hatte. Die Unterlagen belegen aus Niedings Sicht, dass die „Desinformation“ der Kapitalmärkte nicht erst 2014, sondern schon in den Jahren 2007 und 2008 begonnen habe; damit hätten weitere Aktionäre Chancen auf Schadenersatz. Bisher hat Bosch die Dokumente offenbar nicht vorgelegt; das Gericht könnte nun begrenzte Zwangsmittel ergreifen. Als inzwischen beklagte Partei könnte sich der Konzern nicht mehr auf Rechte zur Zeugnisverweigerung berufen. Auch zu diesem Vorgang wollte sich der Unternehmenssprecher nicht äußern.

Haftungsfreistellung von VW gefordert

Die Klageerweiterung der Kanzlei Tilp stützt sich stark auf die in US-Verfahren angeführten Dokumente, die auch der Frankfurter Anwalt Nieding für entscheidend hält. Als zentral gilt ein Schreiben vom Juni 2008, in dem Bosch von Volkswagen verlangt, von jeglicher Haftung im Zusammenhang mit dem Einsatz seiner Motorsteuergeräte befreit zu werden. Darin werde ausdrücklich der Fachbegriff für verbotene Abschaltvorrichtungen, „defeat device“, genannt. Bosch sei sich der Illegalität des Vorgehens bewusst gewesen und habe sich kurz vor dem serienmäßigen Einbau der Geräte in den Vereinigten Staaten absichern wollen, folgern die Kläger. Bei einem Auffliegen des Betruges hätten nicht nur VW, sondern auch Bosch immense finanzielle Risiken gedroht. Die geforderte Erklärung soll VW nicht abgegeben haben, die Zusammenarbeit wurde gleichwohl fortgesetzt – unter welchen Bedingungen, ist unbekannt.

Zwischen Bosch und dem Volkswagenkonzern soll es laut der Klageschrift zudem eine enge Abstimmung gegeben haben, um den Einsatz der Manipulationssoftware zu verschleiern; diese sei mit der Bezeichnung „Akustikfunktion“ getarnt worden. Tilp und Nieding verweisen auf eine Mail, die ein Bosch-Experte im Februar 2007 an einen Audi-Manager geschickt habe. Es handelt sich um den späteren Motorenchef bei Porsche, der unlängst verhaftet wurde. VW wolle die Funktion nutzen und erweitern, hieß es darin, Audi wolle sie hingegen „deaktivieren und verstecken“, aber eventuell später aktivieren. Vier Wochen darauf habe es zur „Erweiterten Akustikfunktion“ eine weitere Mail eines Bosch-Mitarbeiters an zwei VW-Ingenieure gegeben. Darin werde geraten, die Funktion in den offiziellen Dokumenten gegenüber den US-Behörden nicht zu erwähnen. Zugleich habe Bosch versichert, die Beschreibung aus der Produktinformation zu den Kraftstoffpumpen zu entfernen.

Zusammenarbeit auf höchster Ebene koordiniert?

Die Zusammenarbeit zwischen Bosch und Volkswagen bei den Dieselmotoren wurde laut der Klageschrift auf höchster Ebene koordiniert. Aufseiten von Volkswagen sei daran Vorstandschef Martin Winterkorn beteiligt gewesen, aufseiten von Bosch die Geschäftsführer Franz Fehrenbach und später Volkmar Denner. Auch die geforderte Haftungsfreistellung sei in diesem Kreis Thema gewesen. Nur zwei Wochen nach der Veröffentlichung einer US-Studie, die die Dieselaffäre ins Rollen brachte, hätten Winterkorn und Denner an einem Treffen in Wolfsburg teilgenommen.

Für wenig glaubhaft halten die Anwälte die Darstellung, bei VW und Bosch sei nur ein kleiner Kreis verschworener Techniker in die Entwicklung der Betrugssoftware eingeweiht gewesen. Bei Bosch seien nicht nur einige wenige, sondern vielmehr Hunderte von Mitarbeitern beteiligt gewesen. Bosch habe Volkswagen auch keinen unmittelbaren Zugang zum Quellcode der Software gewährt, sondern jeweils selbst letzte Hand angelegt. Auch dies zeige, dass sich der Zulieferer über die Funktionsweise und die verbotene Abschaltmöglichkeit im Klaren gewesen sei.