Zahlt das Land 1,25 Milliarden Euro zu viel an die Bahn? Zwei neue Gutachten dazu seien „nicht belastbar“, meint die Opposition. Die Grünen und der Verkehrsclub VCD sehen sich hingegen in ihrer Kritik bestätigt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Zahlt das Land für den Schienennahverkehr bis zu 1,25 Milliarden Euro zu viel an die Deutsche Bahn? Dieser durch zwei Gutachten des Verkehrsministeriums erhärtete Verdacht hat eine neue Kontroverse über den „Großen Verkehrsvertrag“ ausgelöst. Die Bahn wies die Ergebnisse der Gutachten, die durch einen StZ-Bericht publik geworden waren, scharf zurück. „Es handelt sich hierbei um bekannte Vorwürfe, die seit vielen Jahren immer wieder neu kommuniziert werden“, sagte eine Sprecherin. Man gehe nach wie vor davon aus, dass der Verkehrsvertrag rechtmäßig abgeschlossen wurde. Der Kontrakt für fast 40 Millionen Zugkilometer wurde 2003 zu CDU-Regierungszeiten besiegelt und gilt bis 2016.

 

Die Opposition im Landtag zog die Gutachten in Zweifel und warf Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) vor, damit von eigenen Versäumnissen ablenken zu wollen. Da die Gutachter – die Beratungsgesellschaft KCW in Berlin und die Märkische Revision in Essen – keinen Einblick in die Zahlen der Bahn gehabt hätten, seien ihre Ergebnisse „nicht belastbar“ , sagte die CDU-Verkehrsexpertin Nicole Razavi. Es handele sich um „reine Annahmen“ und „wilde Zahlen“, die Hermann nicht belegen könne. Wenn der Minister sich seiner Sache sicher sei, müsse er die Zahlungen an die DB Regio sofort stoppen und gegen die Bahn vor Gericht ziehen, betonte Razavi. Sie kritisierte zugleich, dass zwei „alte Bekannte“ beauftragt worden seien, die schon früher für die Grünen und Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 tätig gewesen seien. Dies rieche „schon sehr Gefälligkeitsgutachten“.

Die FDP vermutet „Theaterdonner“

Ähnlich äußerten sich für die FDP Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und der Verkehrsexperte Jochen Haussmann. „Minister Hermann muss jetzt Transparenz herstellen, was konkret in den Gutachten steht und wie belastbar diese in methodischer Hinsicht sind“, sagten sie. Wenn er von de Vorwürfen überzeugt sei, müsse er konkrete Taten folgen lassen. „Bis zum Beweis des Gegenteils gegen wir davon aus, dass der Große Verkehrsvertrag insgesamt betrachtet aus der damaligen Zeit heraus für Baden-Württemberg ein gutes Ergebnis war“, unterstrichen die Liberalen. Auch sie argwöhnten, Hermann wolle mit dem „Theaterdonner“ von eigenen Versäumnissen bei der Neuvergabe von Leistungen ablenken.

Rückendeckung bekam der Verkehrsminister vom Grünen-Vizefraktionschef Andreas Schwarz. Die Aufarbeitung des Verkehrsvertrages sei „hochaktuell“ und dringend notwendig, sagte der Verkehrsexperte. Auch durch die Gutachten werde nun bestätigt, dass es sich faktisch um eine „verschleierte Subvention der Bahn durch die CDU und zu Lasten der Landeskasse“ handele. Vom Rechnungshof erwartet Schwarz Hinweise für das weitere Vorgehen und eine mögliche Rückforderung des zuviel bezahlten Geldes. Zugleich kritisierte er, dass die CDU den von Stefan Mappus mit unterzeichneten Vertrag noch immer „verbissen“ verteidige. Der Fraktionschef Guido Wolf müsse „ein Machtwort sprechen“ und seine Partei „an die Seite der Steuerzahler“ stellen.

Mappus-Aussage doppelt widerlegt

Mappus hatte durch seine Anwälte bestreiten lassen, dass er den Vertrag unterzeichnet habe. Dieser trägt jedoch nachweislich seine Unterschrift. Zudem gibt es Fernsehaufnahmen, die ihn bei der Unterzeichnung zeigen. Damit konfrontiert, hatten die Anwälte nicht mehr reagiert.

Bestätigt durch die Gutachten zeigte sich der Landesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschlands (VCD), Matthias Lieb. Er hatte schon früher berechnet, dass das Land eine Milliarde Euro zu viel bezahle. Für Lieb ist es nun erst recht „offensichtlich“, dass die Überbezahlung mit Blick auf das Bahnprojekt Stuttgart 21 erfolgte.