Eine Reihe junger Europäer machen jetzt die EU-Zeitung, die sie selbst gern lesen würden – im Internet, als App, aber auch ganz traditionell auf Papier.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Brüssel - Wenn die Regierungen in Brüssel zusammenkommen, laden sie vor allem einheimische Journalisten zur Vor- und Nachbesprechung. Kein Wunder, dass die Bürger tags darauf nur sehen, hören und lesen, ob nationale Interessen gewahrt und eigene Initiativen durchgesetzt wurden – und nicht, ob eine Regelung gut für Europa als Ganzes ist.

 

Die streng nach Ländergrenzen organisierten Debatten mit ihrer oft rein nationalen Sicht auf europäische Politik haben dazu beigetragen, dass bis heute kein richtiger europäischer Gemeinschaftssinn entstanden ist. Viele Politiker und Journalisten tun immer noch so, als spiele die Musik nur in ihrem eigenen Land. Das passt aber weder zu einer politischen Wirklichkeit, noch trifft es den Nerv derer, die mehr wollen als nur innerdeutsche, innerfranzösische oder innerbritische Diskussionen.

„European Daily“ umwirbt genau diese Zielgruppe. Derzeit existiert nur eine Internetseite mit zusammenkopierten Texten. Im Herbst aber sollen unter diesem Namen Exklusivinhalte erscheinen – gedruckt sowie online. Die Auflage der englischsprachigen Zeitung soll europaweit zunächst 100 000 betragen. „European Daily“ richtet sich laut seiner Webseite an „mobile und weltoffene Europäer“ und will eine „Plattform für paneuropäische Debatten“ sein. Europa ist „Inland“. Das schärfe den „Sinn für einen zunehmend vernetzten Kontinent“.

Christofer Berg würde „European Daily“ sofort abonnieren. Der 30 Jahre alte Schwede hat unter anderem in Paris und Cambridge europäische Politik studiert und bei der EU-Kommission gearbeitet. Nationale Blätter langweilen ihn: zu viel Kleingeist, zu wenige paneuropäische Debatten. 2007 traf Berg in Paris auf einen schwedischen und einen deutschen Kommilitonen, die ebenfalls nach einer echt europäischen Zeitung suchten. Also gründeten die drei ihr eigenes Medium. Journalisten sind sie nicht: „Wir kommen von der Leserseite her. Wir machen das Produkt, das wir selbst gern lesen möchten“, sagt Berg.

Die Herausgeber glauben noch ans Papier

Einer Homepage folgte vergangenen Juni eine gedruckte Nullnummer. Die 40 000 Exemplare wurden in Eurostar-Zügen, an Flughäfen und in europäischen Hauptstädten verteilt. Die drei Herausgeber glauben trotz Zeitungskrise an die auf Papier gedruckte Information. Nach der positiven Resonanz auf die Nullnummer gehen sie in die Vollen. Die Gespräche mit Investoren, angeblich europäischen Medienunternehmen, seien weit gediehen. Auch die Logistik stehe, sagen die Gründer: Ihre Zeitung müsse in nur drei Städten gedruckt werden; nationale Vertriebspartner würden sie in zunächst vierzig europäische Metropolen bringen. Dort soll „European Daily“ am Kiosk erhältlich sein; überall sonst per Post, dazu online sowie mobil.

Das ehrgeizige Programm erinnert an die 1998 nach acht Jahren eingestellte Zeitung „The European“. Wirtschaftlich hat sie sich nie getragen. Wiederholt „European Daily“ alte Fehler? „Seit 1990 ist Europa sehr viel vernetzter geworden“, sagt Christofer Berg, „es gibt das Internet, die Leute reisen mehr, haben Kontakte über Ländergrenzen hinweg.“ Es stimme schon, Europa genieße derzeit nicht den besten Ruf. „Aber Europa ist die Realität, und in den politischen Diskussionen ging es noch nie so oft um Europa wie derzeit.“ Berg will mit seinem Medium auch an eine Art europäischer Öffentlichkeit erzeugen.

Auch im Internet kostet es Geld

Das soll von Amsterdam aus geschehen, wo ein gutes Dutzend Redakteure Beiträge von freien Journalisten aus aller Welt bearbeiten wird. „European Daily“ soll nicht wie andere Medien mit europäischem Fokus zu Brüssel-lastig werden; auch soll es keine Wirtschaftszeitung werden wie die „Financial Times“, deren Europaausgabe aktuell als wichtigstes Forum für EU-Themen gilt. Was diese Rolle angeht, will Christofer Berg der FT jedoch Konkurrenz machen: „Das Merkel-Interview Ende Januar mit drei nationalen Qualitätszeitungen war einer der wenigen echt europäischen Punkte, die in die Diskussion eingebracht wurden“, sagt Berg, „aber auf welchem Forum hätte jemand antworten können?“ Hier sieht der Mitgründer eine Nische für sein Blatt.

16 Seiten soll Bergs Zeitung haben, überschrieben mit Politik, Wirtschaft, Meinung, Kultur und Sport. In der Nullnummer ging es um die europäischen Auswirkungen von Italiens „Nein“ zur Atomkraft, es gab ein Feature zu spanischen „Generation Facebook“, der Investor George Soros forderte mehr Transparenz bei großen Rohstoffunternehmen. Es folgten ein Serge-Gainsbourg-Porträt und ein Text zur Frauenfußball-WM.

All das soll auf allen Kanälen Geld kosten: eine Printausgabe wird es für 2,50 Euro geben, online und auf mobilen Geräten wird eine Paywall errichtet. „Unsere Leser sind es gewohnt, für gute Informationen zu zahlen“, sagt der Projektleiter Daniel Freund. Deshalb könne mit „European Daily“ funktionieren, was aus gleich zwei Gründen kaum möglich erscheint: in Zeiten sinkender Auflagen eine neue Zeitung an den Markt zu bringen und zugleich einen publizistischen Punkt für Europa zu machen, wo Europas Gesellschaften derzeit den genau umgekehrten Weg gehen.