Es ist eine wissenschaftliche Sensation: Forscher haben auf Sumatra eine neue, vom Aussterben bedrohte Orang-Utan-Art entdeckt. Es gibt von ihnen nur rund 800 Individuen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Zürich - Nach jahrelangen Untersuchungen ist ein internationales Forscherteam zu dem Schluss, dass es sich bei der Gruppe von etwa 800 Orang-Utans, die von anderen isoliert auf der indonesischen Insel Sumatra lebt, um eine eigenständige Art handelt. Sie bekam – nach der dortigen Region – den Namen Tapanuli Orang-Utan (Pongo tapanuliensis). Wir sprachen mit Michael Krützen, Professor für evolutionäre Anthroplogie und Genetik an der Universität Zürich und einer der Entdecker der neuen Menschenaffen-Art.

 

„Dieser Orang-Utan ist eine eigene Spezies“

Herr Krützen, neben dem Borneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus) und dem Sumatra-Orang-Utan (Pongo abelii) gibt es nun eine dritte Art dieser Menschenaffen – Pongo tapanuliensis. Wie kam es zu dieser sensationellen wissenschaftlichen Entdeckung?
Meine Kollegen und ich arbeiten seit mehr als zwölf Jahren an der Genetik und Genomik von Orang-Utans. Die Forscher vor Ort haben sich mehr um die Morphologie und Verhaltensdaten gekümmert. Wir haben beide wissenschaftlichen Stränge zusammengebracht. Im Sommer 2016 konnten wir endgültig sagen, dass es sich tatsächlich um eine neue Art handelt. Jetzt werden unsere Forschungsergebnisse veröffentlicht.
Geforscht wird an diesem Thema schon sehr lange.
Das stimmt. Wir arbeiten an der Universität Zürich seit 2005 an dem Orang-Utan-Genetik-Projekt. Zürich ist weltweit die Anlaufstelle für Orang-Utan-Biologie.
Orang-Utan-Art oder Unterart – was ist der Unterschied?
Der Pongo tapanuliensis ist eine eigene Art. Das ist wichtig und es ist das Besondere der Entdeckung. Es gibt keine Rangstufe darunter, sondern dieser Orang-Utan ist eine eigene Spezies. Die Sumatra- und Borneo-Orang-Utans werden seit rund 20 Jahren als eigene Arten beschrieben. Jetzt ist eine dritte Art dazugekommen, die am südlichen Zipfel des Verbreitungsgebietes auf Sumatra lebt.
Die Region Tapanuli gehört zur Insel Sumatra. Warum haben sich die beiden Orang-Utan-Arten dennoch nicht vermischt?
Sie haben sich vermischt. Wir konnten durch die genomische Analyse zeigen, dass sich die Vermischung vor rund 100 000 drastisch reduziert hat. Seit 10 000 bis 20 000 Jahren hat sie komplett aufgehört. Seitdem haben sich Pongo abelii und Pongo tapanuliensis in unterschiedliche Richtungen bewegt. Weil es keine genetische Vermischung mehr gab und sich die Tiere im Verhalten und in der Morphologie unterscheiden, handelt es sich tatsächlich um eine eigene Art.
Von diesen Orang-Utangs leben noch rund 800 Individuen. Wie will man ihr Überleben angesichts der Zerstörung ihres Lebensraumes sicherstellen?
Genetisch konnten wir zeigen, dass es gewisse Inzucht-Probleme geben könnte. Das Hauptproblem aller Menschenaffen-Populationen ist, das ihr Lebensraum durch den Menschen umgewandelt wird in Monokulturen wie Palmöl-Plantagen. Für Sumatra gibt es Überlegungen einen riesigen Staudamm zu bauen, um Energie zu erzeugen, sowie Bergbau zu betreiben. Der Druck auf die Orang-Utans ist massiv. Dass die Population des Tapanuli Orang-Utans sehr klein und isoliert ist, kommt noch hinzu.
Was können Forscher, Zoologen und Tierschützer gemeinsam tun, um die Art zu retten?
Wir hoffen, dass es den Menschen jetzt – auch durch die Berichterstattung der Medien klar wird: Wir haben hier etwas ganz Besonderes. Die Anstrengungen, den Lebensraum dieser Orang-Utans zu schützen, muss intensiviert werden. Das ist das Wichtigste.
Orang-Utans sind – wie alle Menschenaffen – vom Aussterben bedroht. Kann Pongo tapanulisensis in freier Wildbahn oder nur in Zoos überleben?

Es gibt keine Pläne in dieser Richtung. Es wäre auch ein fatales Signal , wenn wir die Tiere in Gefangenschaft züchten wollten. Das würde wahrscheinlich die Bemühungen, sie in freier Wildbahn zu schützen, unterminieren. Alle Menschenaffen sind vom Aussterben bedroht. Doch Pongo tapanuliensis ist die gefährdetste aller Menschenaffen-Art.