Europas Sicherheitslage hat sich dramatisch verändert. Doch der neue Nato-Oberbefehlshaber, US-General Cavoli, kennt sich bereits gut aus.

US-General Christopher Cavoli kennt Deutschland sehr gut. Der Mann mit dem markanten Glatzkopf kam 1964 mitten im Kalten Krieg als Offizierssohn in Würzburg zur Welt. Später war er in Garmisch-Patenkirchen stationiert, leitete von 2014 bis 2016 den Truppenübungsplatz der Army im bayerischen Grafenwöhr.

 

US-Präsident Joe Biden hat ihn als neuen Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa (Eucom) und Nato-Oberbefehlshaber nominiert. Die übrigen 29 Nato-Mitglieder haben der Ernennung zum „Supreme Allied Commander Europe“, kurz Saceur, bereits zugestimmt. Seine Bestätigung durch den US-Senat, vor dem Cavoli am Dienstag auftritt, gilt als sicher. Damit rückt der Vier-Sterne-General, derzeit Kommandeur des US-Heeres für Europa und Afrika im hessischen Wiesbaden, ins Zentrum der geopolitischen Zeitenwende in Europa: Wie ist dem neoimperialen Russland Wladimir Putins, das in der Ukraine einen brutalen Angriffskrieg führt, entgegenzutreten und wie ist es auch in Zukunft am besten abzuschrecken?

Schlüsselfigur bei der Abschreckung

Schlüsselfigur für die Nato-Ostflanke

Cavoli wird zur Schlüsselfigur bei der Frage, wie sich die USA und die Europäer an der Ostflanke der Nato neu aufstellen. Philip M. Breedlove, Nato-Oberbefehlshaber von 2013 bis 2016, hat recht konkrete Vorstellungen dazu: „Mehr Kräfte vorwärts stationieren und im gesamten Bündnis die Kampfbereitschaft betonen“, sagt der Ex-Luftwaffengeneral unserer Zeitung. „Erstens, kurzfristig unsere vorhandenen Streitkräfte wieder in Form bringen und zweitens neue Investitionen in die Kampfbereitschaft der Zukunft.“ Dazu zählt der frühere Topmilitär: „Tarnkappentechnologie, Luftüberlegenheit, Langstrecken-Präzisionsschlagkraft sowie dauerhaft im Schwarzen Meer stationierte Marine.“ Zudem sei ein Kriegsvorrat an Hightech-Waffen nötig.

Er bohrt sich in Details

Die Neuausrichtung der Nato trifft auch Cavoli nicht unvorbereitet. Nur wenige US-Militärs verstehen Europa besser als er, heißt es. Er war schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine für mehrere Großmanöver verantwortlich, die Tausende von Soldaten samt Ausrüstung über den Atlantik brachten. Mit Russland beschäftigt er sich seit Jahren. Mit der wachsenden Militärpräsenz an der Nato-Ostflanke ist er ebenfalls vertraut.

Dabei ist er sich nicht zu schade, sich sich auch in Details wie die unterschiedlichen Spurweiten der Eisenbahnen in Osteuropa oder die grenzüberschreitende Nachschubbürokratie einzuarbeiten. „Wir probieren Lösungen aus und gehen dabei schnell und methodisch vor“, meinte er in einem Interview. So konnte er europaweit ein hilfreiches Netz an Kontakten aufbauen. Beim Nato-Gipfel Ende Juni in Madrid erwartet ihn zudem ein neues „strategisches Konzept“ der Allianz, in dem es zum ersten Mal auch um China geht.

Frontkämpfer und Stratege

Cavolis Laufbahn verläuft ungewöhnlich: 1987 tritt er in die Army ein, zuvor hatte er in Princeton Biologie studiert. Der Golfkrieg 1991 wird erster Fronteinsatz vor einem Master in Russlandstudien in Yale. Neben Italienisch und Französisch spricht er Russisch. Und schafft den Spagat zwischen Einsätzen in Afghanistan und Strategie-Aufgaben. Von 2001 bis 2005 dient er im Führungsstab der Streitkräfte als Russland-Direktor, bevor er im Jahr 2006 wieder in Afghanistan kämpft. „Das macht die Leute fertig. Von einem solchen Einsatz bleiben eine Menge menschliche Trümmer zurück“, erzählt Cavoli später.

Büro in Stuttgart

„Chris ist eine ausgezeichnete Wahl als neuer Saceur“, meint Ex-General Breedlove, der ihn kennt, über Cavoli, der wohl im Sommer im belgischen Mons und den Stuttgarter Patch Barracks seine Arbeit aufnimmt. „Er hat hervorragende europäische Erfahrungen und ist ein geborener Anführer.“