Philosophie-Journale befruchten das Denken. Zwei neue sind erschienen, und der altehrwürdige „Merkur“ aus Stuttgart setzt neue Schwerpunkte.

Hamburg/Stuttgart - Die Printmedien befinden sich in der Krise. Dennoch werden immer wieder neue Journale gegründet und versuchen auf dem Zeitschriften-Markt ihr Glück. Seit vergangenem November wollen gleich zwei neue Magazine in der anspruchsvollen Sparte Philosophie am Kiosk neue Leser gewinnen: Aus Berlin umschmeichelt das „Philosophie Magazin“ das Publikum, aus Hamburg buhlt „Hohe Luft“ um potenzielle Käufer. Wer soll das alles lesen, wo es für die anspruchsvolle Klientel der gut ausgebildeten und beruflich erfolgreichen mittleren Jahrgänge doch schon „Die Zeit“ und „Spiegel“, „Psychologie heute“ und „Brand eins“ „Cicero“, „Literaturen“, „Lettre international“ und vieles andere mehr gibt?

 

Ganz zu schweigen vom Flaggschiff der deutschen Kulturzeitschriften, dem 1947 gegründeten „Merkur“. Der hat zum Jahreswechsel einen neuen Herausgeber und einen neuen leitenden Redakteur installiert: Der Kunsthistoriker Christian Demand und der Filmkritiker Ekkehard Knörer lösen Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel ab, die seit 1984 für die Zeitschrift verantwortlich waren. Bohrer, ein exzentrischer Konservativer und streitbarer Ernst-Jünger-Fan, hatte dem „Merkur“ in den letzten zwanzig Jahren eine zunehmend dogmatische neoliberale Ausrichtung gegeben. Man war stolz darauf, politisch unkorrekt zu sein und gefiel sich in süffisanten Polemiken gegen das rot-grüne „Juste Milieu“.

Christian Demand hat die Münchner Jesuitenhochschule absolviert, wollte mal Popsänger werden, machte dann beim Bayrischen Rundfunk und schließlich als Kunsthistoriker Karriere. Er will die Zeitschrift nicht neu erfinden, aber da er, wie er sagt, einer anderen Generation angehöre und andere Steckenpferde reite als seine Vorgänger, werde er sicherlich auch andere Schwerpunkte setzen. Das Januarheft allerdings lässt wie schon zu Bohrers Zeiten wieder die Europaskeptiker zu Wort kommen, die den Euro für ein gescheitertes Projekt halten.

Der „Merkur“ erscheint im Stuttgarter Klett-Cotta Verlag und wird von der Ernst-H.-Klett-Stiftung getragen, muss sich also um seine finanzielle Basis keine großen Sorgen machen. Für andere auf ein intellektuelles Publikum schielende Publikationen gilt das nicht. Der von Studenten der Unis Stuttgart und Ulm gegründete „Der blaue Reiter“ wagte 1995 als erstes Journal den Versuch, sich auf dem freien Markt mit dem Thema Philosophie zu behaupten und ist mit zwei Ausgaben pro Jahr jetzt bei Heft 31 angelangt.

Das Magazin erscheint inzwischen in Aachen, weil der Herausgeber Siegfried Reusch seiner Frau gefolgt ist, die am Aachener Klinikum eine Stelle bekommen hat, mit der sie die Familie ernähren kann. Beim „blauen Reiter“ weiß man also, dass man mit Philosophie keinen Profit machen kann, vielmehr auf Selbstausbeutung setzen muss, wenn man einigermaßen über die Runden kommen will. Man zielt deshalb nicht auf ein Massenpublikum, sondern möchte mit anspruchsvollen Beiträgen und prominenten Autoren reüssieren – allerdings ohne die elitäre Pose, wie sie der „Merkur“ in der Ära Bohrer kultiviert hat.

Vorbild für alle Neugründungen

Die aktuelle Ausgabe mit dem Thema „No Future! Philosophie des Augenblicks“ bietet ihren Lesern wieder die bewährte Mischung aus Essays, einer Straßenumfrage zum Heftthema, dem Porträt eines Philosophen und Buchrezensionen. Es sieht so aus, als hätten sich alle späteren Neugründungen an diesem Modell orientiert.

Da wäre zunächst einmal „Agora 42“ zu nennen, das 2009 von Nazim Cetin in Stuttgart gegründete Magazin für „Ökonomie, Philosophie und Leben“. Es geht von der These aus, im herrschenden Kapitalismus sei die Ökonomie der „unüberschreitbare Horizont unseres Lebens“. Chefredakteur ist Frank Augustin, der einst beim „blauen Reiter“ dieselbe Position innehatte; inzwischen hat man den Bestsellerautor Richard David Precht als Herausgeber mit ins Boot geholt. Die aktuelle Ausgabe nimmt den modischen Begriff „Nachhaltigkeit“ kritisch unter die Lupe und entlarvt ihn als Mogelpackung, weil er einer weiterhin auf Wachstum ausgerichteten Ökonomie ein grünes Mäntelchen umhängen soll.

Das in Berlin erscheinende „Philosophie Magazin“ ist das deutsche Pendant zum 2006 von Fabrice Gerschel in Paris gegründeten „Philosophie Magazine“. Chefredakteur Wolfram Eilenberger verspricht ein Journal, „das seine Themen ernst nimmt“, aber zugleich „seine Fragen auf den Marktplatz trägt“. Also brachte die erste Ausgabe ein Dossier zum Thema „Warum haben wir Kinder?“, ein Interview mit dem Sozialphilosophen Axel Honneth und ein Streitgespräch zwischen Wikileaks-Gründer Julian Assange und dem australischen Moralphilosophen Peter Singer.

Im soeben erschienenen zweiten Heft unterhalten sich die Ministerin Annette Schavan und der Religionsphilosoph Hans Joas über Vorbilder, das Dossier fragt „Macht Arbeit glücklich?“, und Eilenberger selbst plädiert für mehr Euroskepsis. Alle genannten Artikel könnten freilich problemlos auch im „Spiegel“ oder in der „Zeit“ erscheinen.

Im Hamburger Stadtteil Hoheluft hat die Redaktion des gleichnamigen Magazins ihren Sitz, der Titel der Zeitschrift soll die luftige Höhe signalisieren, von der aus man einen Blick auf die Welt werfen will. Das Programm: ein „Philosophie-Magazin für alle“, das „die Philosophie vom akademischen Diskurs zurück ins Leben holen“ soll, wie der Chefredakteur Thomas Vašek versichert. Die Formate sind auch hier Porträt, Reportage und Interview; „Du sollst nicht lügen! – Aber warum eigentlich nicht?“ fragt das Dossier der ersten Ausgabe. Man hat allerdings bald den Eindruck, dass der Chefredakteur die meisten Artikel selbst geschrieben hat. Ob das Konzept der Neugründungen aufgeht, Philosophie als bunte Lebenshilfe fürs gestresste Ökobürgertum anzubieten, muss sich erst noch zeigen. Mal sehen, wem als Erstem die Luft ausgeht.