Die Anmeldefrist für die Eltern läuft schon, die Regierung drängt beim Gesetz zur neuen Schulform. So eilig wäre es nicht, finden Kritiker.

Stuttgart - Selten war ein Gesetzentwurf so umstritten, selten sollte ein Gesetzentwurf so schnell durch das Parlament gehen. Gestern hat die Landesregierung ihre Novelle zur Einführung der Gemeinschaftsschule im Landtag eingebracht, am 18. April ist die Verabschiedung vorgesehen. Eile tut not. Die ersten 40 Gemeinschaftsschulen im Land werden schon im Herbst ihre Arbeit aufnehmen. In diesen Tagen können die Eltern ihre Viertklässler bereits für die neue Schulform anmelden. Der gesetzliche Rahmen wird quasi so schnell wie möglich nachgeliefert.

 

Gemeinsames Lernen für alle

In der Gemeinschaftsschule werden Schüler aller Leistungsniveaus gemeinsam unterrichtet. Im Mittelpunkt stehen die individuelle Förderung und selbstständige Lernformen. Gegen den Gesetzentwurf haben der Städtetag und der Gemeindetag so schwere Bedenken vorgebracht, dass der Bildungsausschuss des Landtags morgen voraussichtlich öffentlich tagen wird. Üblicherweise beraten die Ausschüsse die Gesetzentwürfe nicht öffentlich. Der Städtetag hatte die mündliche Anhörung beantragt. Beide Landesverbände, die immerhin die Schulträger vertreten, hatten angeregt, das Gesetz wegen gravierender Mängel zu verschieben und die Gemeinschaftsschulen zunächst als Schulversuch zu starten.

Die Schulträger vermissen genaue Angaben über die Kosten und über die notwendige Ausstattung der neuen Schulform. Sogar die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die die pädagogische Konzeption der Gemeinschaftsschulen begrüßt, mahnt zur besonnenen Umsetzung und warnt vor überhasteter Einführung.

CDU gegen „Hauruckstil“

Die Bedenken sind Wasser auf die Mühlen der Opposition. „Sie sitzen zwischen allen Stühlen“, frohlockte Georg Wacker (CDU) in der Plenardebatte gegenüber der Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD). So viel Kritik habe es noch nie gegeben. Es gebe keinen Grund für den „im Hauruckstil vollzogenen radikalen Systemwechsel“. Das bekräftigte die CDU noch in ihrer am Nachmittag eigens einberufenen öffentlichen Diskussion in der Liederhalle. Wacker hob die Erfolge des bisherigen Schulsystems hervor und kritisierte, dass viele der 40 Starterschulen relativ klein seien. Mit der Gemeinschaftsschule spanne die Ministerin einen Rettungsschirm über bedrohte Standorte.

Grün-rot will sozial gerechte Schule

Ministerin verspricht Kreativität

Warminski-Leitheußer begründete den Gesetzentwurf im Landtag souverän. Sie zeichnete das Bild eines kreativen und beweglichen Bildungssystems, das dem von der CDU hinterlassenen Entwicklungsstau folge. Die Gemeinschaftsschule beschrieb sie als „einen Schritt weg vom dreigliedrigen System, hin zu einem System, das der modernen Gesellschaft entspricht“. Gemeinschaftsschule sei eine sozial gerechte Schule. „Wir werden dafür sorgen, dass sich jeder junge Mensch optimal entfalten kann“, versprach die Kultusministerin. Die Regierungsfraktionen dankten ihr den Auftritt mit anhaltendem Applaus .

Sandra Boser (Grüne) hofft, dass die neue Schulform mehr Schülern zu verbesserter Ausbildungsreife verhilft. Christoph Bayer (SPD) wies Kritik zurück, der Entwurf sei übereilt. Die Konzepte seien längst erprobt.Das gute Abschneiden des Südwestens in Leistungsvergleichen ist für Bayer nicht stichhaltig. Dass die soziale Herkunft beim Bildungserfolg eine große Rolle spielt, verlange nach einer deutlichen Korrektur des Systems. Für die FDP bezweifelt Timm Kern, dass schwache Schüler von den selbstständigen Lernformen der Gemeinschaftsschule profitieren können.

Ganztagesbetrieb obligatorisch

Gemeinschaftsschulen sind Ganztagsschulen. Sie erhalten im ersten Jahr für jeden angefangenen Zug drei zusätzliche Lehrerwochenstunden. Der Klassenteiler liegt bei 28 Schülern. In den anderen Schularten werden erst von 30 Schülern an zusätzliche Klassen gebildet.

Bildungsstandards aller Schularten

An den Gemeinschaftsschulen wird nach den Bildungsstandards von Hauptschule, Realschule und Gymnasium unterrichtet. Es ist vorgesehen, Lehrer aller Schularten einzusetzen. Die Gemeinschaftsschule führt zur Mittleren Reife und zum Hauptschulabschluss. Von einer bestimmten Größe an, sollen die Schulen eine gymnasiale Oberstufe einrichten können.

Im Herbst fangen 40 Gemeinschaftsschulen an. Im November können Kommunen Anträge für das Schuljahr 2013/14 stellen. ral