Nach 25 Jahren setzt David Lynch endlich die Serie „Twin Peaks“ fort, die 1990er Jahren Fernsehgeschichte schrieb. Aus der Fortsetzung wird ein großes Geheimnis gemacht.

Stuttgart - Es gab mal eine Zeit, da war Fernsehen einfach nur Fernsehen oder wie es der amerikanische Kulturkritiker Jordan Hoffman nennt: „eine Wüste“. Dann jedoch, an einem Abend im April 1990, wurde sie gewässert, bis in der Ödnis banaler Shows, dämlicher Sitcoms, von viel Sport und den Ausläufern von „Dallas“, „Magnum“ und „Dynasty“ eine Oase erblühte, die nie mehr ganz vertrocknen sollte – sosehr sich das Leitmedium sträubte. Und der Titel dieser Bewässerung lautet: „Twin Peaks“.

 

Nie zuvor (dogmatische Fans behaupten bis heute: auch niemals wieder) wurde etwas annähernd Bahnbrechendes für den Bildschirm produziert wie die ABC-Serie um einen mysteriösen Mord am Nordwestrand der USA. „Who killed Laura Palmer?“ – die Frage nach dem Mörder eines Highschool-Mädchens im Kleinstadtmilieu voller Freaks und Geister in Tag- oder Albträumen fesselte vor 27 Jahren ein Drittel aller anerkannten Staaten der Erde. Ohne diesen Medienwechsel des Starregisseurs David Lynch, den der damalige ABC-Entwickler Gary Levine als ersten „Filmemacher, der Filme fürs Fernsehen gemacht hat“, feiert, wäre Fernsehen womöglich noch immer bloß Fernsehen, nicht das neue Kino.

Geheimdienstliche Verschwiegenheit

Nur einen Makel konnte die Brutstätte horizontaler TV-Erzählungen von „Six Feet Under“ über „Desperate Housewives“ bis „Breaking Bad“ nicht aus der Welt schaffen: „Twin Peaks“ wurde nach zwei Staffeln im Jahr 1991 vorzeitig abgesetzt und ließ die Zuschauer mit gefühlt fünfhundert Cliffhangern in der Luft zappeln. Bis jetzt. Nach jahrelangem Baggern und diversen Projektstopps hat der Pay-TV-Sender Showtime David Lynch und seinen alten Showrunner Mark Frost für eine Fortsetzung von „Twin Peaks“ gewonnen. Die dritte Staffel startet an diesem Sonntag in den USA, ist zeitgleich in Deutschland auf mehreren Sky-online-Kanälen abrufbar und wird vier Tage später dann auch auf Deutsch auf Sky Atlantic HD ausgestrahlt. Und die halbe Welt – hier ist das mal keine Übertreibung – wartet gespannt darauf, ob einen der Altmeister des Bizarren im Staffelfinale am 7. September wieder mit lauter neuen Ungereimtheiten hängen lässt.

Das Dumme ist nur: Keiner weiß so recht, worum es darin geht. Showtime, Sky, Lynch selbst, sein Team – alle machen ein Riesengeheimnis aus dem ersehnten Sequel. Pressevorführungen gab es keine. Selbst Ausschnitte sind äußerst rar. Auf Youtube kursiert neben drei kurzen Filmchen, in denen die Beteiligten das Gewesene lobpreisen, um das Kommende zu bewerben, ohne viel zu verraten, nur ein kurzer Trailer. Das hat Methode. Netflix zum Beispiel hält seine Eigenproduktionen nicht erst, seit Folgen der neuen Staffel von „Orange Is The New Black“ vorzeitig im Netz auftauchten, gern bis zur Ausstrahlung unter Verschluss. Das mag im digitalen Zeitalter maximaler Öffentlichkeit, dem selbst arglose Fußballprofis dadurch zu entfliehen versuchen, dass sie vor der Einwechslung nur mit Hand vorm Mund reden, irgendwie liebenswert wirken. Ein wenig größenwahnsinnig ist es allerdings auch. Von der Eitelkeit, etwas geschaffen zu haben, das geradezu geheimdienstlicher Verschwiegenheit bedarf, ganz zu schweigen.

Diabolische Käuze und Traumbewohner

Immerhin: Kyle MacLachlan, so viel ist gewiss, kehrt als FBI-Agent Dale Cooper an den Drehort Snoqualmie bei Seattle zurück. Mit bald sechzig Jahren wird er dort dann vermutlich den Verfall der Filterkaffeekultur zugunsten von Latte-Quatsch beklagen, ansonsten aber wie gewohnt mit umwerfender Nonchalance ermitteln. Drei Dutzend seiner Kollegen treten nach einem Vierteljahrhundert mehr oder weniger würdevoll gealtert wieder in Erscheinung. Darunter der seinerzeit unbekannte David Duchovny als transsexuelle Drogenfahnderin, den auch diesmal eine Reihe zeitgenössischer Filmstars begleiten – Monica Belucci zum Beispiel, Tim Roth oder Naomi Watts. Der Regisseur und sein berühmtestes Format ziehen nun mal bis heute – davon zeugen Fanclubs und Festivals in aller Welt. Bleibt zu hoffen, dass David Lynch der Steigerungslogik immer aufregenderen Fernsehens, die er einst selbst mit angefeuert hat, nicht zwanghaft weitere Eskalationsstufen verpasst und, sagen wir, gefräßige Zombiehorden durch Twin Peaks jagt.

Das Mysterium der Serie bestand ja weniger in aufwendiger Effekthascherei (die es fraglos auch gab) als darin, stets zeigen zu wollen, was keiner erwartet – und sei es das Gewöhnliche. Die stärksten Szenen der frühen Neunziger, als Lynch dem Medium mit „Twin Peaks“ Beine machte, waren schließlich jene, in denen das Gebaren banaler Provinzbewohner von dem diabolischer Käuze und Traumgestalten kaum unterscheidbar war. Mit ihnen hat uns der Regisseur Fernsehmomente geschenkt, die unwiederholbar schienen. Bis Montagmorgen, kurz vor Sonnenaufgang, auf den Bildschirmen der halben Welt. Sie darf gespannt sein.