Am 21. April 2019 trat die große VVS-Tarifzonenreform in Kraft. Seitdem gibt es in Stuttgart nur noch eine, in den Kreisen nur noch vier Zonen. Für viele Fahrgäste war das gleichbedeutend mit weniger Kosten, für zwei VVS-Mitarbeiter bedeutete es aber mehr Arbeit.

Stuttgart - Zeitenwende, größte Reform der Geschichte, Meilenstein – kein Superlativ ist den Politikern aus Stadt und Land zu groß, als am 1. April 2019 die neuen Tarifzonen im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) in Kraft tritt. Doch wer wirklich die Bedeutung der Neuerung, die für viele Fahrgäste die Kosten im Nahverkehr in der Region Stuttgart senkt, ermessen will, der sollte sich an zwei ganz spezielle VVS-Mitarbeiter wenden, die mehr wissen über Tarifzonen und ihre Tücken als viele andere. Ingo Profuß und Dietmar Tatzel sind mittlerweile nicht nur die einzigen Beschäftigten in der VVS-Zentrale im Stuttgarter Westen, die seit der Gründung des VVS im Jahr 1978 ununterbrochen dabei sind, die bautechnischen Zeichner haben auch Hunderte von Tarifzonen-, Netz-, Linien- und Haltstelleplänen gezeichnet – anfangs von Hand, jetzt am Computer.

 

Übersichtlich und lesbar

Auch die sogenannte Tarifzonenspinne – die kreisrunde Darstellung der Zonen mit dem Stuttgarter Hauptbahnhof in der Mitte – stammt von ihnen. Im Lauf des mehr als 40-jährigen Bestehens des VVS kam immer mehr Linien und Ziele dazu, doch Profuß und Tatzel brachten all die Informationen unter. Zum Schluss waren die sieben Ringe in zehn Zonen unterteilt, hinzu kamen „Wurmfortsätze“ mit Strecken außerhalb des VVS-Gebiets. „Es musste übersichtlich und lesbar sein“, sagt Profuß, „aber auch eindeutig.“ Das ist ihnen gelungen.

Und doch war der Kreis mit den vielen Linien, Zahlen und Gemeindenamen das Symbol dafür, dass das VVS-Netz zu ausdifferenziert und die Vielfalt der Zonen zumindest den Gelegenheitsnutzer nicht gerade zur Fahrt mit Bussen und Bahnen einlud.

Schon seit Jahren wird über die Vereinfachung diskutiert – und wann immer die VVS-Gremien hinter verschlossenen Türen zu dieser Frage tagen, sind auch Profuß und Tatzel gefragt: Sie müssen dann die mögliche Neueinteilung bildlich darstellen.

Im Frühjahr 2018 gibt es dann den Durchbruch, das Ergebnis ist eine Reduzierung auf fünf Ringe und der Verzicht auf die Sektoren. In Stuttgart gibt es nur noch eine Zone, in den Kreisen vier, die bisherigen Zonen sechs und sieben werden zusammengelegt. Weil es dadurch weniger Einnahmen gibt, machen Land, Stadt und Kreise für die Reform 42 Millionen Euro locker. Für manche, wie der FDP in der Region, geht es nicht weit genug: Sie will nur noch zwei oder drei Zonen.

50 bis 60 Versionen

Was sie von der Zonenreform halten, das sagen Profuß und Tatzel öffentlich nicht. Aber Arbeit hat sie ihnen gemacht. Sie deuten auf ein Poster an der Wand. Dort wird gezeigt, wie sie auf die Darstellung der neuen Tarifzonenspinne gekommen sind. „In der Entwicklungsphase gab es schon 50 bis 60 Versionen“, sagt Profuß. Immer wieder gibt es auch Änderungen, wenn einzelne Kommunen auf den Rand einer Tarifzone verschoben werden. Am Ende ist das Liniengeäst mit fünf Ringen unterlegt, der innere Stuttgarter ist weiß, die anderen wechseln immer stärker ins VVS-orange. Aber auch die neuen Schilder für die Haltestellen haben die beiden Experten entwickelt.

Früher haben sie am Reißbrett mit Zeichenstift, klebbaren Folien, Lineal, Schere und Letraset gearbeitet, heute wird alles am Mac gemacht – deshalb grüßt ein Steve-Jobs-Porträt von der Wand. Auch wenn die beiden 60-Jährigen 2024 in den Ruhestand gehen, sind die Weichen für die Nachfolger gestellt. Dafür hat Tatzel das 122 Seiten dicke Werk „Normen Fahrgastinformation“ verfasst, in dem gestalterische Vorgaben wie Piktogramme, Logos, Schriften und Farben und die Anforderungen an Liniennetzpläne, Haltestellenkarten und andere Pläne hinterlegt sind. Zuletzt haben Profuß und Tatzel die Pläne für den Stadtverkehr in Ludwigsburg und Böblingen/Sindelfingen gezeichnet. Und wenn die S-Bahn nicht so fährt wie geplant, stellen sie die Umleitungsstrecken dar. Längst gibt es den Grundplan, nämlich das schematische Verbundschienennetz mit Zusatzinfos zur barrierefreien Stationen oder mit P+R-Plätzen. Und natürlich werden diese Informationen nicht nur gedruckt, sondern auch elektronisch angeboten – im Internet und auf der Smartphone-App. „Die elektronische Verlinkung wird immer wichtiger“, sagt Tatzel. Das stelle aber auch neue Anforderungen an Leserlichkeit. „Wir wollen alles so einfach wie möglich darstellen“, sagt Profuß. „Sie sind so etwas wie ein Aushängeschild des VVS“, sagt ihr Chef Volker Torlach. Nun geht es um neue Pläne, wenn der Kreis Göppingen zum 1. Januar 2021 in den VVS kommt. Und was hat die Tarifzonenreform gebracht außer viel Arbeit? „Für uns persönlich nichts, wir haben ja ein kostenloses Mitarbeiterticket“ sagen sie, die täglich von Löchgau und Renningen mit der S-Bahn nach Stuttgart fahren, „aber für unsere Familien ist es billiger.“