Die Autokonzerne träumen vom vollautomatischen Fahren per Computer und Navigation. Nicht nur Unfälle, auch Staus ließen sich so vermeiden. Doch Experten warnen vor zu viel Euphorie.

München/Berlin - Ist die Zukunft staufrei, weil Autofahrer weder lenken noch Gas geben oder bremsen müssen, sondern ihre Autos autonom fahren? Die Idee dabei: Computer vergleichen Daten über Ziele, Straßenverläufe und Geschwindigkeiten, berechnen das optimale Tempo und wählen die passenden Routen. Sensoren registrieren Hindernisse. Die Autos erfahren voneinander, wann welches abbiegt und wann hunderte Meter weiter ein Wagen bremst. So sollen Staus erst gar nicht entstehen.

 

Schon jetzt sorgt intelligente Technik dafür, dass der Verkehr fließt – unabhängig von der Ausstattung des jeweiligen Fahrzeuges. Viele Autobahnabschnitte sind mit so genannten Streckenbeeinflussungsanlagen ausgestattet: Induktionsschleifen auf dem Asphalt messen Tempo und Fahrzeugabstand und erkennen so einen drohenden Stau. Die daraus abgeleitete passende Geschwindigkeit wird den Fahrern auf elektronischen Tafeln angezeigt. Forschungen des Bundesverkehrsministeriums ergaben, dass mit intelligenten Hinweisschildern Unfälle um 30 Prozent reduziert werden.

Navis losten den Fahrer oft in den Stau

Doch nur ein Bruchteil des Straßennetzes ist damit ausgestattet. Der Großteil der Landstraßen wird nicht überwacht. Staus werden dort nur für den wahrnehmbar, der gerade darin steht – und der dort häufig durch eine Umleitungsempfehlung seines Navis gelandet ist. Denn auch deren Daten beruhen hauptsächlich auf den Informationen der zentralen Verkehrsüberwachung. Nur wenige Hersteller werten die Standortdaten ihrer Geräte aus: Diese Navis senden, sofern der Nutzer zustimmt, regelmäßig ihren Standort und ihr Tempo an eine Zentrale. Bei hinreichender Datendichte wird die Stauerkennung zum Kinderspiel. Auch wer mit Googlemaps navigiert, bekommt Staus in Echtzeit aufs Display und trägt zugleich dazu bei, dass Googles Daten umfassender werden: Android-Handys melden regelmäßig ihren Standort an den Konzern.

Einen Schritt weiter sind Experten der Technischen Unis München und Berlin, der Fraunhofer Gesellschaft und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. Gemeinsam mit Herstellern entwickelten sie das System simTD und rüsteten damit 500 Versuchsautos aus, die im vergangenen Jahr insgesamt 1,6 Millionen Kilometer zurücklegten. Die rollenden Labore tauschten nicht nur untereinander Daten aus, sondern auch mit der Infrastruktur, beispielsweise mit Ampeln. Die Fahrer bekamen auf einem Display Vorschläge für die günstigste Route oder die optimale Geschwindigkeit für eine grüne Welle.

Das vollautonome Auto ist weit entfernt

Bestückte man alle Fahrzeuge mit dieser Technologie, ließe sich mehr als die Hälfte aller Unfälle an Kreuzungen vermeiden, sagen die Forscher. Unklar ist, wie die Datenmassen, die bei der Kommunikation zwischen Fahrzeugen entstehen, verarbeitet werden. Denn das autonome Auto muss aus den Informationen Alternativen ableiten können, etwa: Wie kommen alle möglichst schnell über die Kreuzung? Noch fehlt es an leistungsfähigen Algorithmen, die solche Entscheidungen in Echtzeit treffen können.

„Das vollautonome Auto für den privaten Gebrauch liegt in weiter Ferne“, sagt Dominique Seydel vom Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik. Dazu müssten die Assistenzsysteme erweitert werden, sodass sie verstärkt externe Daten nutzen können. Momentan entwickeln die Forscher einen Sprachkanal, eine Art W-LAN für den Verkehr. Der Standard namens ITSG5 soll weltweit gelten. Eine einheitliche Sprache ist wichtig, denn ein solches Assitenzsystem kann künftig auf immer mehr Informationsquellen zurückgreifen. So könnte man Fußgänger mit kleinen Transpondern ausstatten: „Ein Auto erkennt dann, wenn ein Kind auf die Straße rennt, noch bevor der Fahrer es sieht“, sagt Seydel. Auch Smartphones könnten in dieses System einbezogen werden. Dann wären keine zusätzlichen Geräte nötig.

Es fehlt an groß angelegten Tests

Denn das ist eine der zentralen Fragen: Wie gehen die Assistenzsysteme mit Fußgängern, Radfahrern oder nicht ausgestatteten Autos um? „Es werden sich nie alle Verkehrsteilnehmer austauschen“, sagt Christoph Stiller vom Karlsruher Institut für Technologie KIT, der das Programm „Kooperativ interagierende Automobile“ koordiniert. Er soll die einzelnen Forschungsgebiete bundesweit vernetzen und eine gemeinsame Simulationsumgebung aufbauen. „Uns fehlen große Testdatensätze“, sagt Stiller. Er hofft auf die Daten jener Fahrzeuge, die schon heute automatisch fahren – etwa im Stop-and-Go-Verkehr. Bis zu einer Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern ist das unter ständiger Aufsicht des Fahrers bereits erlaubt. Hier wird sich zeigen, wie gut die Technik kritische Situationen erkennt und meistert. Und wo nachgearbeitet werden muss. Auch aus Stillers Sicht steht dem autonomen Fahren noch ein weiter Weg bevor. Die Maschinen würden heutzutage relativ gute Entscheidungen treffen, aber das reiche nicht: „Ein Promille Fehlerrate gilt in der Wissenschaft als gut, im Straßenverkehr wäre das inakzeptabel. Damit würde etwa beim Fußgängerkollisionsschutz jeder Tausendste überfahren.“ Der Mensch wird noch lange eingreifen müssen, wenn das Auto eine Situation nicht beherrscht. Vor allem im komplexeren Verkehr der Innenstädte. Diese Erfahrung macht auch Klaus Dietmayer, Direktor des Instituts für Mess-, Regel- und Mikrotechnik der Universität Ulm. Er ließ im Juli ein Auto autonom durch die Ulmer City fahren – stets mit einem Sicherheitsfahrer am Steuer. Ein Rundkurs wurde detailliert kartografiert und ins System eingespeist. Dazu kommen die Daten von Radar-, Laser- und Kamerasensoren, sodass das Auto Zebrastreifen, rote Ampeln und Fußgänger erkennen kann. Der Wagen meisterte seinen Rundkurs perfekt – bis auf eine Ausnahme: Ein Fußgänger wollte das Auto vorbeiwinken. Aber es blieb stehen. „Die Gestenerkennung wird noch viel Forschungsarbeit erfordern“, sagt Dietmayer. Reine Autobahnfahrten hingegen seien bald möglich, meint er.

Werden die Autos der Zukunft also wenigstens dort Staufreiheit garantieren? Nein, meint der Forscher Stiller: „Irgendwann wird auf jeder Straße die Menge an Fahrzeugen erreicht, bei der Stau entsteht.“ Zumal die Technologie die Attraktivität des Autofahrens womöglich erhöht.