Die Pannen rund um den rechtsterroristischen NSU reißen nicht ab. Nun ist der V-Mann „Tarif“ ins Visier geraten, der Uwe Mundlos sehr nahe gekommen ist. „Tarifs“ Akten existieren offenbar noch – dem NSU-Ausschuss wurden sie aber nie vorgelegt.

Stuttgart - Neue Details über einen V-Mann aus dem NSU-Umfeld bringen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einmal mehr in Erklärungsnot: Hat das Amt dem NSU-Ausschuss des Bundestages Akten dieses V-Mannes vorenthalten? Und hat die Behörde darauf Einfluss genommen, dass ein Artikel im „Spiegel“ über den Spitzel nicht erscheint?

 

Es geht um den in Schweden lebenden Michael von Dolsperg, der in den 1990er Jahren Michael See hieß und ein führender Neonazi in Nordthüringen war: Als V-Mann „ Tarif“ gehörte er von 1996 bis mindestens 2001 zu den Topquellen des BfV im Umfeld des NSU-Trios. Jetzt hat das Bundesinnenministerium den Bundestag darüber informiert, dass das BfV noch sämtliche Quellenberichte des V-Manns in seinem Archiv stehen hat. Die Abgeordneten, die dem bis August 2013 arbeitenden NSU-Untersuchungsausschuss angehörten, sind überrascht: Eigentlich gingen sie davon aus, dass die Akte des Spitzels – zusammen mit anderen V-Mann-Akten – wenige Tage nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 vernichtet wurde und nur zum Teil rekonstruiert werden konnte. So hatten sie es vom BfV gehört, als die Aktenvernichtung 2012 bekannt wurde. Das Bundesamt hatte damals den Obleuten des Untersuchungsausschusses nur einen Ordner zum angeblich wiederhergestellten Aktenvorgang „Tarif“ vorgelegt. Dass die Quellenberichte von „Tarif“, die einige Dutzend weitere Aktenordner umfassen dürften, auch noch vorhanden sind, erfuhren der NSU-Ausschuss jedoch nicht.

Tatsächlich dürfte das BfV damals wenig Interesse daran gehabt haben, dass sich der Ausschuss allzu intensiv mit dem V-Mann-Vorgang „Tarif“ befasst. Hätten die Abgeordneten doch sonst unter anderem herausfinden können, dass der Spitzel Uwe Mundlos kannte und jahrelang unter den Augen des Verfassungsschutzes die rassistische Nazi-Postille „Sonnenbanner“ publiziert hatte. In „Sonnenbanner“-Artikeln wurde das – vom NSU umgesetzte – Konzept autonomer Kämpferzellen propagiert, die im Untergrund das demokratische System bekämpfen.

Im Herbst 2012 drohte Gefahr

Dem BfV konnte deshalb auch nicht daran gelegen sein, dass ihr V-Mann in der Presse enttarnt wird, weil der Ausschuss solche Medienberichte zum Anlass für intensivere Nachforschungen hätte nehmen können. Doch im Herbst 2012 drohte genau diese Gefahr. Ein „Spiegel“-Reporter hatte den 2001 nach Schweden verzogenen Dolsperg gefunden und ihm Inhalte seiner V-Mann-Akte vorgehalten. Kurz nach dem Gespräch traf sich „Tarif“ mit Beamten vom BfV. „Die BfV-Leute sagten, jetzt warten wir erst einmal ab, ob der Spiegel eine Geschichte über dich macht“, sagte Dolsperg bei seiner Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft am 10. März 2014 aus. „Mir ist ferner erklärt worden, dass das BfV den Spiegel-Reporter gebeten habe, nicht über mich zu berichten. Und dann war tatsächlich Ruhe.“

Hatte das Kölner Bundesamt wirklich Einfluss auf die Berichterstattung des „Spiegel“ genommen? Das Nachrichtenmagazin brachte seinerzeit jedenfalls keinen Artikel über „Tarif“. Auf Anfrage erklärte der „Spiegel“-Reporter, der den V-Mann in Schweden besucht hatte, man habe auf Bitten von Dolsperg von einer Veröffentlichung abgesehen. Ob sich das BfV damals in der „Spiegel“-Redaktion gemeldet habe, wollte er nicht sagen. „Über vermeintliche oder tatsächliche Recherche-Inhalte äußert sich der Spiegel aus grundsätzlichen Erwägungen nicht“, teilte er mit.

Erst am 3. Oktober 2013 enthüllten die „Berliner Zeitung“ und das MDR-Magazin „Fakt“ die Identität des V-Manns – für den NSU-Ausschuss zu spät. Wäre Dolsperg aber bereits 2012 enttarnt worden, hätte sich der Ausschuss ganz gewiss sehr intensiv mit diesem Vorgang befasst.