Kaum eröffnet das Land eine neue Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, ist sie auch schon voll. In Sigmaringen und in Wertheim sollen weitere Unterkünfte entstehen.

Wertheim - Sichtlich abgekämpft nehmen die Kontrahenten rechts und links von Regierungspräsident Johannes Schmalzl Platz. Stefan Mikulicz, Oberbürgermeister von Wertheim (Main-Tauber-Kreis), hat offensichtlich bis zuletzt dafür gekämpft, in der Ende des Jahres frei werdenden Polizeihochschule eine „adäquate Anschlussnutzung“ anzusiedeln. „Finger weg von der Polizeiakademie“, lautete kürzlich nach einer Sondersitzung die klare Botschaft aus dem Rathaus in Richtung Landratsamt. Landrat Reinhard Frank hat die Pläne durchkreuzt und das im Besitz des Landes befindliche Gebäude für eine Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) vorgeschlagen. „Wir reden nicht mehr über das ob, wir reden über das wie“, stellt Schmalzl gleich zu Beginn fest und die Inbetriebnahme zum Jahresende in Aussicht.

 

Beim Flüchtlingsgipfel hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann bis zum Jahresende 5700 weitere Plätze in neuen LEAs in Aussicht gestellt; nochmals 5000 Plätze sollen bis zum Frühjahr 2016 folgen. Die erst kürzlich eröffnete Einrichtung in Ellwangen (Ostalbkreis) ist bereits überfüllt. Statt wie geplant maximal 1000 leben jetzt 1500 Menschen dort. So sei die Entscheidung, kurzfristig 100 Männer von dort in einem Zeltlager in Neuenstadt/Kocher (Kreis Heilbronn) unterzubringen, eine „absolute Notlösung“, sagt Regierungspräsident Schmalzl und wirbt bei den Wertheimern um Verständnis: „Ich leide wie ein Hund, weil wir in Ellwangen Deutschunterricht und Kinderbetreuung einstellen müssen, um Platz für Betten zu schaffen.“

Der Landrat des Main-Tauber-Kreises steht unter Druck

Landrat Frank steht wie alle seine Kollegen unter enormem Druck. Nach neuen Prognosen muss der Main-Tauber-Kreis in diesem Jahr 700 Asylbewerber aufnehmen, das sind rund 200 mehr als geplant. Standorte für Container werden gesucht. Bis Mitte August soll er nach einem „Hilferuf“ aus dem Integrationsministerium zusätzlich Platz für 100 Menschen in einer Turnhalle schaffen. Diese Aufgabe muss Wertheim nicht stemmen: „Mit der Landesersteinrichtung hat die Stadt ihren Anteil erfüllt“, versichert Frank.

Man werde seinen Beitrag leisten, versichert das Stadtoberhaupt schmallippig und zeigt mit spitzem Finger auf die Pressemittelung des Regierungspräsidiums: „Platz für jedenfalls 1000 Flüchtlinge“, steht da geschrieben. „Baulich ist die Polizeihochschule dafür geeignet“, versucht ihn Schmalzl zu beruhigen, „wir müssen herausfinden, welche Anzahl der Ort verträgt.“ 1500 der rund 24 000 Wertheimer leben in dem Stadtteil Reinhardshof. Deren ehrenamtliches Engagement ist gefordert, das weiß auch der Regierungspräsident: „Die Willkommenskultur für Flüchtlinge wird vor allem durch die Haltung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Funktionsträger in einer Stadt gelebt.“

Darauf können sich auch die Bürgerinnen und Bürger von Schwäbisch Hall einstellen. Denn die dort für 2017 geplante Landeserstaufnahmeeinrichtung soll bereits im nächsten Jahr gebaut werden, stellt Schmalzl in Aussicht: „Wir müssen in Hall Gas geben und das Ganze auf die Überholspur setzen.“ Und Regierungsvizepräsident Christian Schneider sekundiert: „Je mehr Einrichtungen ich habe, desto besser läuft in allen der Betrieb.“

Im Landkreis Karlsruhe gab es in kurzer Zeit 1000 neue Plätze

Auch im Landkreis Karlsruhe haben die Behörden die Einrichtung neuer Plätze beschleunigt: nachdem kurzfristig Erstaufnahmeplätze für 500 Flüchtlinge im Philippsburger Ortsteil Huttenheim bereitgestellt worden waren und mehr als 400 Flüchtlinge in der Landesfeuerwehrschule in Bruchsal untergebracht sind, sind binnen weniger Tage im Landkreis Karlsruhe fast 1000 LEA-Plätze neu geschaffen worden. Diese sollen Entlastung bieten für die im Stadtgebiet angesiedelte LEA mit deren Außenstellen.

Karlsruhes Landrat Christof Schnaudigel (CDU) teilte jetzt mit, man erkenne die „besondere Situation der Erstaufnahme“. Besonders die LEA-Außenstellen in Heidelberg und die vor Jahreswechsel in Meßstetten (Zollernalbkreis) neu eingerichtete Erstaufnahmeeinrichtungen gelten seit Wochen als hoffnungslos überfüllt. Gleichzeitig übte Schnaudigel Kritik an den zuständigen Landesbehörden. Das Handeln des Landkreises Karlsruhe „habe eine Ursache darin, dass in der Vergangenheit landesweit viel zu wenige Erstaufnahmekapazitäten geschaffen wurden“, sagte Schnaudigel. Die Landesfeuerwehrschule in Bruchsal war schon voriges Jahr für mehrere Wochen als Notunterkunft genutzt worden. Im Philippsburger Ortsteil Huttenheim wurde jetzt kurzfristig eine leer stehende Halle in einem Gewerbegebiet bezogen. Schon an diesem Wochenende sollten die ersten Flüchtlinge einziehen. Wie auch in Bruchsal sollen Verpflegung, Sicherheitsdienst und Reinigung vom Karlsruher Regierungspräsidium organisiert werden. Derzeit sind allein im dicht besiedelten Regierungsbezirk rund 70 Prozent der Erstaufnahme-Asylsuchenden in Baden-Württemberg untergebracht.

Karlsruhes Landrat rechnet mit „Anerkennung“

Landrat Schnaudigel erwartet sich „Anerkennung für die besonders hohen Anstrengungen“ des Landkreises – rund 2500 Flüchtlinge leben in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises. Bis zum Jahresende seien weitere mindestens 2000 Plätze geplant, sagte Schnaudigel.

In Sigmaringen wurde am Montag eine neue Lea eröffnet. 250 Menschen zogen in die Graf-Stauffenberg-Kaserne, Platz sei dort zunächst für 400, sagte ein Sprecher des Regierungspräsidiums Tübingen. Bis Anfang nächsten Jahres soll es dort 1000 Plätze geben. Unterdessen entstehen überall im Land bei Städten und Gemeinden weitere Unterkünfte. So teilte das Landratsamt im Rhein-Neckar-Kreis mit, dass 100 Flüchtlinge im ehemaligen Gebäude der Bodenseewasserversorgung untergebracht werden sollen. Der Kreis müsse alleine im August 625 Asylbewerber aus der Lea Karlsruhe aufnehmen.