Der Ökonom Matthias Günther hat untersucht, wie viele neue Wohnungen etwa durch Aufstockung bestehender Gebäude möglichen wären. Doch höhere Gebäude allein sind nicht der Weg aus der Wohnraumknappheit.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart -

 

Herr Günther, wie hoch ist das Wohnbaupotenzial in deutschen Städten allein durch Umnutzung oder Nachverdichtung?

Wir haben ein Potenzial von 2,3 bis 2,7 Millionen Einheiten durch Umnutzung und Aufstockung von Wohn- und Nichtwohngebäuden ermittelt.

Wäre das ein möglicher Beitrag zur Abmilderung der Wohnraumknappheit?

Es könnte einen Beitrag leisten, wenn Hemmnisse beseitigt würden. Ich nenne nur mal die Stellplatzverordnung. Wenn ich auf den Bestand etwas obendrauf baue, muss ich in der Regel zusätzliche Stellplätze nachweisen. Teilweise kommt man durch Aufstockung in eine neue Brandklasse und benötigt damit einen zweiten Rettungsweg. Das beeinträchtigt die Wirtschaftlichkeit.

Die Landesbauordnungen müssen ausgemistet werden. Oder brauchen wir bundeseinheitliche Regeln?

Wenn wir versuchen, eine bundeseinheitliche Regelung hinzubekommen, führt das nach den bisherigen Erfahrungen zu nichts, weil es schlicht zu lange dauern würde. Die Länder ihrerseits lassen sich auch nicht gern reinreden. Anfang der 1990er Jahre haben wir diese Diskussion schon einmal gehabt, weil es damals eine ähnliche Wohnraumknappheit gab. Damals haben wir das nicht hinbekommen, deshalb bin ich jetzt auch nicht zuversichtlich.

Die Politik ist nicht willens, etwas zu ändern?

Anfangs war die Politik sehr euphorisch, aber richtig beschäftigt hat man sich nicht damit. Mittlerweile sind vielerorts die Baulandpreise derart gestiegen, dass es ökonomisch sinnvoll ist, nachzuverdichten und aufzustocken.

Ist ein Eingriff in den Bestand weniger konfliktbeladen als ein Neubaugebiet auf der grünen Wiese?

Es ist fast egal, was Sie heute anfassen – man stößt immer auf Widerstände. Von Anwohnern eines Quartiers, in dem man aufstocken möchte, genauso wie von Nachbarn einer Wiese, auf der gebaut werden soll. Wichtig ist eine frühzeitige Bürgerinformation. Eine Bürgerbeteiligung im Sinne von Mitspracherecht halte ich hingegen für fatal.

Ist Umnutzung oder Aufstockung bestehender Gebäude immer dem Neubau vorzuziehen?

Nein, das muss gebäudeindividuell entschieden werden. Ein Gebäude aus den 1950er Jahren, an dem bisher nichts an Modernisierung gemacht ist, wird in der Regel eher abgerissen, statt es aufwendig zu sanieren und dann auch noch aufzustocken.

Kommt die Ära der Aufstockung?

Mitte der 90er Jahre kamen 50 000 bis 60 000 Wohnungen im Jahr dazu, jetzt sind wir in der Größenordnung 40 000 bis 50 000 Wohnungen. Das kann aber nur ein Baustein sein. Sicherlich brauchen wir auch weiterhin neue Baulandflächen.