Seit langem wird der BND von Affären geschüttelt. Der neue Präsident Bruno Kahl soll den Geheimdienst reformieren und aus den Schlagzeilen bringen. Manche halten das für eine Herkulesaufgabe.

Berlin - Der Präsidentensessel beim Bundesnachrichtendienst (BND) gilt traditionell als Schleudersitz. Selbst Wohlmeinende attestieren dem deutschen Auslandsgeheimdienst ein kaum kontrollierbares Eigenleben. In 60 Jahren BND-Geschichte konnte keiner der Vorgänger von Bruno Kahl sicher sein, dass nicht irgendwo die nächste Affäre oder der nächste Skandal schlummert. Dem neuen Mann an der Spitze der 6500 Auslandsspione geht das nicht anders. Am Mittwoch wird er von Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) offiziell ins Amt eingeführt.

 

20 Jahre Erfahrung

Vielleicht hilft Gottvertrauen bei der „Herkulesaufgabe“ (Altmaier), vor der Kahl steht - der 53-jährige Katholik gilt als regelmäßiger Kirchgänger. Promoviert hat der Jurist 2008 mit einer Arbeit über „Elemente katholischen Denkens in säkularer Staatslehre“ im Frühwerk des umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt. Auf jeden Fall helfen 20 Jahre Erfahrung in den Fallstricken der Ministerialbürokratie, politisches Gespür und ein paar Vorschusslorbeeren vom Chef.

Alle drei Voraussetzungen bringt der verwitwete Vater zweier erwachsener Töchter mit. Nach einem Jurastudium in Bonn und Lausanne und einer Referendarzeit in Bonn, Speyer und Sydney begann Kahl nach dem Zweiten Juristischen Staatsexamen 1995 seine Karriere als Referent im Kanzleramt. Ein Jahr später wechselte er in die Unionsfraktion. Seither arbeitete der Spitzenbeamte, der ein CDU-Parteibuch besitzt, für Wolfgang Schäuble. Ihn begleitete Kahl in leitender Position und zeitweise als Sprecher des Innenministeriums und bis zuletzt als Abteilungsleiter im Finanzressort.

Altmaier hat Kahl angeblich selbst ausgewählt, auch wenn es zunächst das Gerücht gab, der als innen- und sicherheitspolitischer Hardliner bekannte Schäuble habe ihn als neuen BND-Chef vorgeschlagen. Dem Nachfolger von Gerhard Schindler, der nach viereinhalb Jahren als Präsident nicht ganz freiwillig aus dem Amt scheiden musste, hat das Kanzleramt einen schweren Rucksack an Erwartungen aufgeladen.

Größte Umstrukturierung der Geschichte

Der Dienst stehe in den nächsten fünf bis zehn Jahren vor der größten Umstrukturierung seiner Geschichte und damit vor einer Herkulesaufgabe, glaubt Altmaier. Angesichts der Bedrohung durch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und einer neuen Dimension von Cyber-Attacken durch Russland und China werde viel Einsatz und Fingerspitzengefühl nötig sein, den BND so aufzustellen, dass er den künftigen Anforderungen gerecht werde. Das gilt umso mehr, als Kahl auch die in der Öffentlichkeit kritisch gesehene internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror wieder verstärken soll.

Auch im BND selbst wird Kahl zugetraut, dass er sich mit seiner Erfahrung ohne große Schwierigkeiten in die neuen Herausforderungen einarbeiten kann. Erste interne Gespräche werden als zugewandt im Ton und sachlich-zielorientiert im Inhalt beschrieben. Der Mann gehe auf die Leute zu, seine Umgangsformen seien distanzierter als die seines Vorgängers Schindler, heißt es. Das dürfte jenen entgegenkommen, die Schindler unter anderem deshalb kritisch sahen, weil er seine Meinung manchmal lautstark vertreten konnte.

Insider sehen Kahl vor einem Spagat. Einerseits müsse er sich akribisch in die Einzelheiten einarbeiten, um an der richtigen Stelle mitreden zu können. Andererseits dürfe er als Kapitän des Riesentankers BND in schwerer See nicht den Überblick verlieren. Verantwortliche erwarten außerdem, das der in Essen geborene neue BND-Chef den Transparenz-Kurs Schindlers fortsetzt und das Image der skandalbelasteten Behörde verbessert.

Verhältnis zum Kanzleramt

Wichtig für Kahl dürfte das Verhältnis zum Kanzleramt sein - zwischen Schindler und Altmaier soll die Chemie nicht besonders gut gewesen sein. Nachdem Altmaier Kahl selbst als neuen Präsidenten ausgewählt hat, setzen Eingeweihte darauf, dass er eine Art Vertrauensvorschuss von der Kontrolleinheit Kanzleramt bekommt. Dort gilt er als exzellenter Jurist, der hohen Sachverstand mit politischer Klugheit und Fleiß verknüpft. Doch auch hier steht Kahl vor einem Spagat: Um Anerkennung im eigenen Laden zu gewinnen, ist immer auch eine Portion Eigenständigkeit nötig.

Für Entspannung dürfte im Kanzleramt das trockene Bekenntnis Kahls gesorgt haben, von „flotten Sprüchen“ halte er nicht viel. Seinem Vorgänger Schindler war dessen Wahlspruch „No risk, no fun“ (Ohne Risiko kein Spaß) bis zuletzt immer wieder vorgehalten worden. Sehr zum Ärger mancher in der Regierungszentrale.