Neuer DB-Reisezug Premiere mit Schattenseiten

Die ICE-Flotte der Deutschen Bahn bekommt Zuwachs. Foto: dpa/Arne Dedert

Die Deutsche Bahn verjüngt ihre ICE-Flotte. Der erste Fernzug aus Spanien soll neue Maßstäbe beim Komfort setzen – doch der Hersteller Talgo steckt in der Krise.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Auf Gleis 7 am Berliner Ostbahnhof feiert an diesem Freitag der ICE L seine Premiere. Erstmals stellt die Deutsche Bahn AG ihren neuen Reisezug den Medien vor. Für Konzernchefin Evelyn Palla wird es der erste öffentliche Auftritt im neuen Amt. An der Präsentation nehmen Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder teil und Carlos de Palacio y Oriol, Vorstandsvorsitzender des spanischen Zugherstellers Talgo. Es soll ein Tag der guten Botschaften und schönen TV-Bilder werden – doch hinter den Kulissen gibt es Probleme.

 

Zunächst das Positive: Mit dem ICE L wird die DB-Flotte deutlich verjüngt. Der erste Fernzug aus Spanien soll ausgeleierte Intercity-Wagen ersetzen, die teils seit mehr als 40 Jahren unterwegs sind. Erstmals werden Reisende ihre Koffer stufenlos an Bord befördern können („Low Floor“). Die DB verspricht zudem ein innovatives Innendesign mit neu entwickelten Sitzen, besseren Mobilfunkempfang mittels durchlässiger Scheiben sowie einen großzügigen Familienbereich.

Langwierige Verhandlungen

Offiziell schweigen beide Seiten zu den langwierigen Verhandlungen wegen der Lieferverzögerungen, die Talgo zu verantworten hat, sowie der Auftragskürzung von 79 auf 60 Züge, die der DB-Konzern mittlerweile durchsetzen will. „Kein Kommentar“, blockt ein DB-Sprecher ab. Laut internen Dokumenten aus der Führungsetage, die unserer Redaktion vorliegen, sollte die „Einigungsvereinbarung“ im dritten Quartal unterzeichnet werden. Daraus wurde offenkundig nichts.

Für Konzernchefin Evelyn Palla bedeutet die Präsentation des ICE L der erste öffentliche Auftritt im neuen Amt. Foto: dpa/Andreas Gora

Der DB-Konzern kann Strafzahlungen wegen der mehrfach verspäteten Lieferung verlangen, die Betriebsprobleme und Umplanungen verursachte. Der Rahmenvertrag über 100 ICE L war 2019 vereinbart worden, erstmals bekam Siemens nicht den Zuschlag bei einem DB-Großauftrag für Highspeed-Züge. 23 Fahrzeuge wurden fest bestellt und sollten ab 2023 kommen. Wegen Corona wurde auf Herbst 2024 korrigiert, später auf Mitte 2025. Vor drei Jahren wurde die Festbestellung zudem auf 79 Züge erhöht, abzuliefern bis 2030.

Auch Zughersteller Talgo steckt in der Krise

Wegen der hohen Verluste und Schulden im Konzern wie im Fernverkehr schwenkte die DB jedoch um und teilte Talgo mit, dass man insgesamt nur noch 60 Züge kaufen wolle. Zudem soll die Auslieferung gestreckt werden. Deshalb kann nun auch Talgo auf Vertragsstrafen pochen. Beobachter hoffen, dass das Treffen von Palla und Schnieder mit den Spaniern am Freitag vielleicht den Knoten lösen könnte.

Talgo steckt jedoch wie der DB-Konzern in der Krise und benötigt staatliche Hilfe, schrieb zuletzt Verluste und kann sich Zugeständnisse kaum leisten. Zwar stehen Aufträge in Rekordhöhe von fünf Milliarden Euro in den Büchern, doch finanziell sieht es weniger gut aus. So wurden wegen zu hoher Kosten in den beiden Werken am Unternehmenssitz in Las Matas bei Madrid sowie in Rivabellosa im Baskenland, wo auch die ICE L für die DB produziert werden, bereits Verlagerung von Fertigung nach Ungarn erwogen. Der dortige Konkurrent Magyar Vagon wollte Talgo voriges Jahr sogar komplett übernehmen.

Auf Staatshilfen angewiesen

Die Übernahme wurde jedoch laut Medienberichten von der spanischen Regierung unter Verweis auf Sicherheitsbedenken blockiert. Die staatliche Exportkreditagentur CESCE soll nun neue Kreditlinien für Talgo in dreistelliger Millionenhöhe absichern und die staatliche Beteiligungsgesellschaft SEPI zudem neue Wandelanleihen zeichnen. Zudem soll eine Investorengruppe knapp ein Drittel der Anteile an der Dachfirma Pegaso Transportation International übernehmen.

An Aufträgen für Talgo fehlt es nicht, die Zugplattform 230 ist gefragt und nicht nur bei der Staatsbahn RENFE als Hochgeschwindigkeitszug bewährt. Die Spanier, die in elf Ländern rund 3500 Mitarbeiter beschäftigen, liefern zudem Züge für das „Haramain“-Projekt zwischen Mekka und Medina in Saudi-Arabien. Nach der DB hat im Mai überdies Konkurrent Flix zunächst 30 Einheiten des Talgo 230 für knapp 1,1 Milliarden Euro bestellt, inklusive Wartung für 15 Jahre.

Auch DB-Konkurrent Flix ist Talgo-Kunde

Die Rahmenvereinbarung umfasst sogar 65 Züge für 2,4 Milliarden Euro. Die Talgo 230 sind für den europaweiten Einsatz konzipiert und werden zunächst für Deutschland, Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden vorbereitet. Flix startete nach den erfolgreichen grünen Fernbussen vor sieben Jahren auch Züge, die Flixtrains verbinden bereits 50 Städte direkt, bisher nur mit älteren gebrauchten Modellen. Die spanischen Züge sind die erste Neubestellung, der Betriebsstart wird frühestens Ende des Jahrzehnts erwartet.

Bei den Zügen für die DB kämpfen die Spanier noch mit Zulassungsproblemen. In Deutschland wurde die Betriebsgenehmigung erst im Sommer erreicht, in den Niederlanden noch nicht. Daher kann die DB die ersten ICE L nur innerdeutsch zwischen Berlin und Köln einsetzen, nach Amsterdam fährt stattdessen der ICE 3 neo und löst ab November komplett die alten Intercity ab. Statt der bestellten Talgo-Loks setzt die DB vorläufig bewährte Vectron-Zugmaschinen von Siemens ein. Flix hat die spanischen Züge gleich ohne Loks bestellt und spannt ebenfalls die deutsche Vectron vor die Talgo-Wagen.

Wo der ICE L künftig fährt

Strecke
Die ersten vier ICE-L fahren ab Mitte Dezember zwischen Berlin und Köln. Ab Mai 2026 soll die Verbindung zwischen Berlin, Hamburg und Sylt folgen. Vom Sommer an sind die neuen Reisezüge dann auch im Süden unterwegs auf der neunstündigen Verbindung des ICE 2013 von Dortmund nach Oberstdorf.

Haltestellen
Unter den 21 Haltestellen sind Mannheim, Heidelberg, Vaihingen (Enz), Esslingen, Plochingen, Göppingen und Ulm, von dort dauert die Fahrt noch zwei Stunden bis zu dem beliebten Wander- und Ski-Urlaubsort in den Alpen.

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