Gianni Infantino heißt der neue Präsident der Fifa. Nach seiner Wahl am Freitagabend stellt sich nun die Frage, ob er die Fifa verändern kann – und will.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Zürich - Um Punkt 18 Uhr endet der Vorgang, der so gar nicht zu dieser mit Spannung erwarteten Wahl gepasst hat. Fünf Stunden zäher Stimmabgabe in zwei endlosen Wahlgängen, nach denen einem Schäfchen-Zählen wie ein aufregendes Hobby für Adrenalinjunkies vorkommt, liegen hinter einem, als es auf einmal vorbei ist. Dann doch schneller als gedacht.

 

Gianni Infantino hat es geschafft. Der 45-jährige Schweizer ist für viele Beobachter etwas überraschend klar gewählt worden, mit 115 Stimmen in Durchgang zwei, der favorisierte Scheich Salman aus Bahrain kam nur auf 88. Infantino schüttelt den Kopf, er strahlt, er ist sichtlich berührt von diesem Moment, der sich für ihn ja eher zufällig ergab. Eigentlich sollte hier im Zürcher Hallenstadion der Uefa-Boss Michel Platini sitzen und zur Wahl stehen, der aber wurde bekanntlich gesperrt, und so schlug vor fünf Monaten die Stunde von Plan B, die Stunde des Uefa-Generalsekretärs: „Ich kann meine Gefühle nicht beschreiben“, sind seine ersten Worte als Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa.

Für manche gilt die Wahl nur als das kleinere Übel

Infantino ist in der Geschichte der Fifa der neunte Präsident seit 1904 und tritt die Nachfolge von Sepp Blatter an. Blatter kam 1998 ins Amt und hatte seinen Posten nach den Verhaftungen und Ermittlungen in den USA im Juni 2015 notgedrungen zur Verfügung gestellt. Blatter ist mittlerweile von der Fifa-Ethikkommission gesperrt worden, am Kongress durfte der 79-Jährige deshalb nicht teilnehmen. Infantino, dessen Heimatdorf Brig nur wenige Minuten von Blatters Wohnort Visp im Wallis entfernt ist, übernimmt die Fifa in ihrer schwersten Krise – finanziell (siehe auch „Hohe Verluste“) und imagemäßig liegt der Verband am Boden. Ist der kosmopolite Mann mit der Glatze der Heilsbringer, der den Reformprozess anführt? Der die Fifa in ruhiges Fahrwasser bringt? Der die Skandale mit Nachdruck aufklären lässt und der der Fifa wieder Glaubwürdigkeit verleiht?

Nun ja. Für manche gilt die Wahl nur als das kleinere Übel. Scheich Salman, der im Verdacht steht, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben, hätte die Fifa nicht aus der Krise, sondern noch tiefer hineingeführt, wurde gemutmaßt. Einen glaubwürdigen Aufbruch hätte er nicht repräsentiert, das mediale und politische Echo wäre im Gegenteil verheerend gewesen. Dennoch galt der Aristokrat als der Favorit, während die anderen Kandidaten erwartungsgemäß keine Rolle spielten (Prinz Ali, Jerome Champagne) oder kurzfristig erst gar nicht antraten (Tokyo Sexwale).

Der kuwaitische Scheich Al-Sabah hatte für Salman geworben, und der gilt als Königsmacher, er half schon Thomas Bach auf den IOC-Thron. Doch diesmal ging sein Schlachtplan nicht auf – falls er ihn nicht kurzfristig geändert haben sollte. Warum es anders kam? Wer weiß, was in diesen Stunden und Tagen passiert ist, wo welche Fliehkräfte am Werk waren oder ganz andere Einflüsse. Kongresse können eine eigene Dynamik entwickeln.

Mit schmutziger Wäsche geht es bei der Fifa weiter

Gianni Infantino, der sechs Sprachen perfekt spricht (Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch, Arabisch) und im Hallenstadion in seiner Bewerbungsrede die Delegierten in guter, alter Blatter-Tradition an seiner Vielsprachigkeit teilhaben ließ, hat eine angenehme Art. Er ist sehr charmant, freundlich und hat eine positive Ausstrahlung. Vor der Wahl hatte er mit diesem Bonmot belustigt, als er erzählte, wie er sich das bisher einzige Mal für etwas zur Wahl gestellt hatte – den Posten des Präsidenten in seinem Heimatverein, als er 18 Jahre alt war: „Ich habe nur gewonnen, weil meine Mutter versprochen hat, die Trikots zu waschen“, sagte er.

Mit schmutziger Wäsche, wenn man so will, geht es bei der Fifa weiter. Infantino ist bei aller Nettigkeit in der Welt der Blatters und Platinis groß geworden. Er wird oft mit dem Wort „Apparatschik“ beschrieben, er ist ein Mann des Systems. Der Anwalt weiß, wie Sportpolitik funktioniert, seit 2000 war er für die Uefa tätig. Infantino, Vater von vier Kindern, weiß, wie die Fifa arbeitet. Und der Mann mit der Schweizer und italienischen Staatsbürgerschaft weiß, wie man sich attraktiv macht für die Verbände, denen es nicht immer allein um das Wohl des Fußballs geht.

Gianni Infantino will nicht nur die WM auf 40 Teams aufblasen, sondern er versprach im Vorfeld, die Zuschüsse an jeden Verband auf fünf Millionen Dollar über vier Jahre mehr als zu verdoppeln. Warum? Darum: „Das Geld der Fifa ist Euer Geld.“