Die Entwickler von Spielen entdecken das Erzählen wieder – als Gegenentwurf zu den Cyberwelten. Dabei arbeiten die Anbieter sogar mit echten Schauspielern zusammen.

Stuttgart - Das kleine Häuflein Menschen, das die Apokalypse überlebt hat, hat sich in den Untergrund geflüchtet. Während die verseuchte Erdoberfläche von Mutanten bevölkert wird, hausen die Überlebenden im verzweigten Röhrensystem der Moskauer U-Bahn. Aus dieser düsteren Vorlage des russischen Autors Dmitri Alexejewitsch Gluchowski hat das ukrainische Studio 4A Games eine Videospielreihe gemacht. Der neueste Teil mit dem Titel „Metro Exodus“ erreicht auf dem Review-Statistik-Portal Metacritic einen beachtlichen Wert von 84 Prozent. „Eine der intensivsten Spielerfahrungen der letzten Zeit“, urteilt beispielsweise das Online-Magazin „Eurogamer“. Offenbar haben die Entwickler einen Nerv getroffen.

 

Auf den ersten Blick ist der Erfolg überraschend. Denn „Metro“ ist keines der seit einiger Zeit angesagten grenzenlos scheinenden digitalen Paralleluniversen. Stattdessen wird die Geschichte weitgehend linear vom Anfang bis zum Ende durcherzählt. Auf Spielpassagen folgen stets längere „Cutscenes“, in denen die Geschichte weiterläuft. Der Spieler kann nur dafür sorgen, dass es weitergeht – wie, bestimmt das Drehbuch. Dass sogenannte „Open World Games“ den Spielern freien Auslauf und Beschäftigung für 90, 100 oder mehr Stunden bieten, scheint viele zu überfordern. Wer hat schon so viel Zeit? Beim Umherstreifen durch die detailverliebten Szenerien geht zudem oft etwas Entscheidendes verloren: ein stringenter Handlungsfaden. Oft irrt man planlos umher und weiß gar nicht, was anfangen mit all der Freiheit. Die Handlung bleibt ein wirres Puzzle aus losen Fragmenten.

Überschaubare Spielwelten

So kommt es, dass sich immer mehr Studios der Kunst des Geschichtenerzählens entsinnen. Ihre Spielwelten bleiben überschaubar und gleichen eher interaktiven Achterbahnfahrten als digitalen Abenteuerspielplätzen. Die Storylines sind zwar von vornherein festgelegt, dafür aber umso packender inszeniert. In der unterirdischen Welt von „Metro“ erfährt die Handlung eine ungeheure Verdichtung, nie weiß man, was einen um die nächste Ecke erwartet.

Der Zusatz „Exodus“ im neuesten Teil deutet allerdings bereits an, dass die Tunnelbewohner einen Weg nach draußen gefunden haben. In der Rolle des Helden Artjom liegt es nun am Spieler, die von 4A ungemein wuchtig und mit morbider Schönheit gestaltete Oberwelt zu erkunden. Aus diesem Spannungsfeld von Enge und Weite schlägt das Spiel Funken. Die Macher haben also durchaus von den Open-World-Szenarien gelernt. Allerdings behält die Inszenierung stets die Oberhand über das Geschehen, lässt keinen Leerlauf entstehen und hält so einige Überraschungen bereit. Nach vergleichsweise überschaubaren 20 bis 25 Stunden sieht man den Abspann und freut sich, endlich mal wieder ein Spiel ganz durchgespielt zu haben.

Handlungsstränge als Downloads

Dass wieder mehr Wert auf Story gelegt wird, zeigt auch das Beispiel „Battlefield V“. Eigentlich ein Multiplayer-Shooter, fügte das federführende Studio Dice dem Spiel mehrere Handlungsstränge in Form von Downloads hinzu. Diese Nebengeschichten für Einzelspieler sind nicht nur ungeheuer aufwendig gemacht, sondern auch von einer narrativen Kraft, wie man sie in der Branche nicht allzu oft findet. Für die Episode „Der letzte Tiger“ wurde eigens der Schweizer Schauspieler Urs Remond engagiert, der in zahlreichen TV-Produktionen wie „Alarm für Kobra 11“ und „Medicopter 117“ mitgewirkt hat, um in die Rolle eines deutschen Panzergenerals zu schlüpfen. Für den erfahrenen Schauspieler eine ganz neue Erfahrung.

„Zunächst einmal wurde von uns Darstellern in Serbien ein 3-D-Scan des Kopfs gemacht mit unzähligen Gesichtsausdrücken. Gedreht wurden die Spielszenen dann in einem Studio in Schweden“, erzählt Remond. Die Handlungssequenzen wurden exakt so eingespielt und gesprochen, wie sie im fertigen Spiel zu sehen sind, was ihnen eine Authentizität verleiht, die nachsynchronisierten Animationen fehlt. In einem Londoner Tonstudio wurden dann jene Texte eingesprochen, die in den Spielsequenzen zu hören sind, also auch das Atmen beim Laufen, Klettern, Kriechen und in den verschiedensten anderen Situationen. „Dazu gehörten auch meine Schreie bei diversen Treffern, ins Bein, in den Bauch, in den Kopf und so weiter. Anders als beim Film muss man hier ja alle eventuell möglichen Spielverläufe einkalkulieren. Im Endeffekt habe ich also drei Tage lang wie ein Wahnsinniger herumgeschrien – bis die Stimme irgendwann weg war.“

Aufwendige Dreharbeiten

Als Außenstehender stelle man sich kaum vor, mit welcher Professionalität in der Branche gearbeitet werde, so Remond. Eine derartige Akribie erlebe man an Filmsets nur selten. „Jede Szene braucht sehr viel mehr Takes als bei ‚normalen‘ Filmaufnahmen. Wenn man sich im Bekannten- und Kollegenkreis so umhört, trifft man ja oft auf die Vorstellung, dass es bei Videospielproduktionen ohnehin nur um Effekte und kommerziellen Erfolg geht. Nein! Das sind junge Menschen mit einer künstlerischen Vision, die alles geben, um sie umzusetzen.“

Den Produzenten kommt auch zugute, dass die meisten Computer und Spielkonsolen heute permanent mit dem Internet verbunden sind. So können sie ihren Werken immer wieder neue Episoden hinzufügen. So sind zum im vergangenen Jahr erschienenen Action-Adventure „Shadow of the Tomb Raider“ bereits vier herunterladbare Zusatzinhalte verfügbar, mindestens drei weitere sollen noch folgen. Solche DLC (vom englischen „download content“) spülen Geld in die Kassen der Anbieter und befriedigen zugleich die durch Netflix-Serien veränderte Erwartungshaltung des Publikums. Viele Spieler schätzen, dass sich die Spielhäppchen in ein bis zwei Stunden durchspielen lassen, ohne dass man dazu gleich in ein neues Cyberuniversum aufbrechen muss. Manchmal genügt es eben einfach, sich eine spannende Geschichte erzählen zu lassen.

Hersteller und Preise

Metro Exodus Hersteller: 4A Games / Deep Silver. Für PC, PS4 und Xbox One. USK ab 18 Jahren, ca. 60 bis 65 Euro.

Battlefield V
Hersteller: Dice / Electronic Arts. Für PC, PS4 und Xbox One. USK ab 16 Jahren, ca. 30 bis 40 Euro (Standardversion). Die Zusatzinhalte inklusive „Der letzte Tiger“ sowie weiter kommende Erweiterungen – unter anderem ein „Battle Royale“-Modus – sind im Kaufpreis inbegriffen.

Shadow of the Tomb Raider Hersteller: Eidos / Square Enix. Für PC, PS4 und Xbox One. USK ab 16 Jahren, ca. 40 (Standardversion) bis 70 Euro („Croft Edition“ inklusive „Season Pass“ für den Zugang zu allen DLCs). Die Standardversion enthält keine DLCs. Diese können aber nachträglich für rund 30 Euro vollständig oder zum Einzelpreis von jeweils rund fünf Euro hinzugekauft werden.